Gesundheit, Herr Doktor!
Vorstands.
12
Knapp vor neun Uhr schritt am folgenden sonnigen Morgen Sir Lancelot Spratt durch die automatische Glastür des Bertram-Bunn-Traktes in die Eingangshalle.
«Gott sei Dank», murmelte er. Die Musikberieselung hatte aufgehört. Die Atmosphäre erinnerte mehr als sonst an den Nahen Osten, da es heißer geworden war. «Offenbar ist die Klimaanlage ausgefallen», dachte Sir Lancelot. Nun, diese jahrealte, ewig gleiche, tödliche Luft hatte ihm sowieso nie zugesagt.
Sein Blick fiel auf den weißen Plastiktisch. Die Rezeptionistin und die beiden Krankenwärter hatten sich sichtlich verspätet. Es schienen auch weniger Leute als sonst in Bewegung zu sein, nur eine einzige östliche Familie, in reichfallenden schwarzen Gewändern, saß nüssekauend auf dem Boden.
«Lancelot!» Die Oberin tauchte, hochrot und funkelnden Blickes, in der Tür ihres Büros auf.
«Heute morgen bin ich sehr beschäftigt», teilte er ihr entschlossen mit.
«Sie und beschäftigt! Wir sind alle beschäftigt. Die Revolution ist ausgebrochen.»
«Ich muß Miss Bristols auf der Stelle besuchen, um ihr mitzuteilen, daß die Röntgenaufnahme ein klares Bild ergeben hat. Heute nachmittag nehme ich die Operation an ihrer Brust vor.»
«Das werden Sie nicht tun, auch an keinem anderen Körperteil dieser Person. Noch an sonst jemand anderem. Anarchie ist über uns hereingebrochen. Die Krankenträger und das übrige Personal streiken.»
«Ach, wirklich?» murmelte Sir Lancelot. «Hat diese englische Krankheit auch hier Fuß gefaßt? Es ist natürlich nichts anderes als eine Art von Volkshysterie, ähnlich der Flagellantenbewegung des vierzehnten Jahrhunderts in Mitteleuropa.»
«Das mag ja richtig sein», fuhr die Oberin ihn an, «aber meine Patienten haben noch kein Frühstück gehabt.»
«Meine Patienten im St. Swithin haben heute ein sehr gutes Frühstück mit Wurst und Speck gehabt.»
«Klar. Die Blockade ist ausschließlich gegen die Privatpatienten gerichtet. Die Telefonzentrale weigert sich sogar, Anrufe aus den Luxuszimmern zu vermitteln. Einige meiner Börsenmakler-Patienten sind von großer Unruhe erfaßt. Neid, Bosheit und Ressentiment! Das sind die Übel, unter denen diese Drückeberger leiden.» Ein
Schauer überlief sie. «Diese Situation konnte ich mir wohl nicht vorstellen, als ich meine Pflegearbeit antrat. Haben Sie noch nicht die Morgenzeitungen gelesen?»
«Ich bin soeben erst nach London zurückgekehrt. Gestern nachmittag war ich gezwungen, nach Berkshire angeln zu fahren, um nicht der Preisverteilung an die Schwesternschülerinnen beiwohnen zu müssen.»
«Haben Sie denn nicht einmal die Streikposten gesehen?» fragte die Oberin aufgebracht. «Die Terrorkommandos, die friedliche Leute von unserem Eingang verscheuchen?»
«Ich sah nur einen der Leichenträger, Forfar McBridie. Er trug Kilt, Plaid, Feldtasche, Mütze und so weiter, ein schottisches Dolchmesser in einer seiner Socken und ein Zweiglein weißes Heidekraut in der anderen. Er trug ein Plakat.»
«Was stand darauf?»
« Eine beneidenswert zielstrebige Rasse, diese Schotten. Aber weswegen streiken die Krankenträger?» erkundigte sich Sir Lancelot neugierig. «Die einzige Beschwerde, die mir zu Ohren kam, war wegen des Fehlens einer Schießscheibe drunten im Aufenthaltsraum der Träger.»
«Es gibt auch sonst nichts. Sie streiken nur, weil sie so idiotisch sind, einfach alles zu tun, was mein Neffe Pip ihnen sagt.»
Sir Lancelot strich sich über den Bart. «Ich bin nicht ganz im Bilde, fürchte ich.»
«Als Sie ihn Dienstag hinaus warfen, bekam er einen Job als Krankenträger und wurde sofort der Vertrauensmann. Sie sind an allem schuld», erklärte die Oberin bitter.
«Kaum. Der Institutsvorstand warf den Unglückseligen hinaus, nicht ich. Ich hätte ihn wahrscheinlich durchkommen lassen, sobald meine berechtigte Gereiztheit darüber, daß er am Anfang der Prüfung seinem ersten Patienten um ein Haar den Augapfel durchbohrt hätte, verflogen wäre.»
«Dann müssen Sie den Vorstand dazu bringen, daß er ihn wieder als Student aufnimmt.»
«In die internen Angelegenheiten der Medizinischen Schule kann ich mich nicht einmischen. Dort ist der Vorstand Alleinherrscher. Wäre es nicht sinnvoller, wenn Sie als Tante diesem Pip eine Standpauke hielten? Sagen Sie ihm doch, daß er seinen lächerlichen Streik wieder abbrechen soll.»
«Ich weigere mich, an Pip in diesem Leben je wieder das Wort zu richten.»
«In
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