Gesundheit, Herr Doktor!
an die Schwesternschülerinnen ist unendlich wichtiger als die Kabalen Ihrer aufrührerischen Gewerkschaftsgruppe. Übrigens sind das unsere Blumen.»
«Seien Sie unbesorgt, ich will nicht unvernünftig sein», erwiderte Pip entgegenkommend. «Ich und mein Freund -» er wies auf Harold Sapworth, der die Whiskyflasche rasch unter seinem braunen Mantel barg und versuchte, hinter einer Reihe von Palmentöpfen ungesehen die Treppe zu erreichen — «werden eine Zusammenkunft drunten in der Garage oder sonstwo ansetzen. Ich hab mir sowieso gedacht, daß nicht mehr als ein halbes Dutzend von diesen Zuhörern gekommen ist, um mich anzuhören.» Der Vorstand nickte ihm aufmunternd und befriedigt zu. «Irgendwie bin ich sogar erleichtert. Ich glaube nicht, daß ich mich dazu aufgerafft hätte, vor einer solchen Unmenge fremder Gesichter zu reden.»
«Das Sprechen in der Öffentlichkeit ist tatsächlich eine Kunst», pflichtete ihm der Vorstand bei. «Eine Kunst, die nur wenigen von uns gegeben ist. Sie erfordert beträchtliches Gedächtnis, Konzentration und Übung.»
«Sie proben, nicht wahr?» erkundigte sich Pip. «Sie stehen nicht einfach auf und sagen, was Ihnen gerade einfällt?»
«Ach du meine Güte, keineswegs», vertraute ihm der Vorstand leutselig an. «Ich übe jeden Morgen vor dem Spiegel im Badezimmer. Auch so bekannte Redner wie weiland Lloyd George und weiland Adolf Hitler unterzogen sich dieser Mühe.»
«Mir fehlt es an dieser Gabe», sagte Pip unglücklich. «Und auch an Selbstvertrauen.»
«Ich könnte Ihnen eine oder zwei Lektionen erteilen —»
Der Vorstand wurde durch rhythmisches Händeklatschen des Auditoriums in die Wirklichkeit zurückgebracht. Er trat festen Schrittes auf das Mikrophon zu, das sich inmitten von Geranien erhob. «Meine Damen und Herren, ich muß wegen dieser kleinen technischen Panne um Entschuldigung bitten. Der Krankenträger ist im Begriff, das Podium zu verlassen.»
«Pip!» Der Vorstand drehte sich auf den Fersen um, denn Faith hatte sich zwischen ihre Mutter und die Oberin gedrängt und schrie: «Rühr dich nicht weg, Pip, Liebster! Du warst zuerst hier.» Sie warf sich in seine braunbemantelten Arme.
Der Vorstand bedeckte aufs neue seine Augen mit der Hand. «Ja, es ist ein Traum. Hab ich noch meine Kleider an?» Er blickte an sich hinab. «In einer Minute sind sie weg. Das ist immer so. Splitternackt werde ich vor dem gesamten Pflegepersonal des St. Swithin dastehen. Dieser Traum kehrt immer wieder. Sobald ich aufwache, muß ich Dr. Bonaccord aufsuchen.»
«Gib nicht nach. Liebster», sprach Faith auf Pip ein, während sich wachsende Erregung der Zuseher bemächtigte. «Halte an deinen Prinzipien fest. Wenn du dich bei deiner Versammlung von irgendwelchen Leuten niedertrampeln läßt, wird es lange dauern, bis du deine Glaubwürdigkeit oder deine Selbstachtung wiedererlangt hast. Du bleibst hier», befahl sie mit Bestimmtheit.
«Du hast absolut recht», rief Pip aus. «Es ist wie beim Boxen, für das mein Freund Harold so viel übrig hat.» Er nickte Harold Sapworth zu, der sich soeben zwischen der Oberin und dem Sockel einer Büste des großen Galenus hindurchzuzwängen versuchte. «Wenn man nur einen Augenblick lang nicht aufpaßt, kriegt man einen Hieb auf den Kopf. Ich werde nur wenige Minuten brauchen», teilte er dem Vorstand zuvorkommend mit. «Dann können Sie alle diese Zertifikate und Dickensbände und weiß Gott noch was austeilen.»
«Sie werden nichts dergleichen tun», gab der Vorstand zurück. «Und lassen Sie gefälligst meine Tochter wieder los. Sie kennen sie ja gar nicht.»
«Gib nicht nach, Pip!» flüsterte Faith. «Und eröffne das Feuer!»
Pip nahm dem Vorstand das Mikrophon aus der Hand. «Hiermit erkläre ich das Sondertreffen der organisierten Spitalsangestellten und -arbeiter für eröffnet.»
Die Zuhörer klatschten laut Beifall.
«Massenhysterie», stammelte der Vorstand. «Großer Gott.»
Er packte Pip am Arm. Sofort begann das Publikum zu zischen und Buh zu rufen. Der Vorstand riß die Augen auf. Gleich dem Paraderepublikaner Brutus mußte er mit Entsetzen Wankelmut und Verrat des Pöbels erkennen. Unrühmlich ließ er sich auf einen der goldenen Sessel fallen. Neben ihm standen auf der einen Seite die Oberin, die heftig zürnte, und auf der anderen Seite seine Frau, die das Ganze mit Heiterkeit beobachtete.
«Meine Damen und Herren», setzte Pip wieder an.
Er stockte. Die Zuhörer saßen in gespanntem und angenehm erregtem
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