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Getäuscht - Thriller

Titel: Getäuscht - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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nächste Kurve bog, tauchte der beeindruckende Palast vor ihm auf, einst die Sommerresidenz von Queen Victoria, nun der Wohnsitz eines russischen Oligarchen. Die Zeitungen hatten einen gewaltigen Aufstand gemacht, als das historische Gebäude vor drei Jahren an den russischen Multimilliardär verkauft worden war.
    Auf einem kiesbedeckten Vorhof parkte der Rolls-Royce Phantom, den Graves von den Überwachungsvideos kannte. Der Besitzer der Edelkarosse kam ihm bereits auf der Eingangstreppe entgegen. Die eine Hand hatte er zum Gruß erhoben, und sein unverkennbares weißblondes Haar war so zerzaust, wie man es von zahlreichen Fotos kannte. Der Mann hieß Peter Chagall.
    »Nimm dich vor ihm in Acht«, hatten die Kollegen, über deren Schreibtisch alle russischen Fälle gingen, Graves gewarnt. »Der Mann ist gefährlich.«
    Aber Graves wusste auch ohne die Kollegen über Peter Chagall Bescheid, seit dieser eine Fußballmannschaft der ersten englischen Liga gekauft hatte, den FC Arsenal, zumal Graves seit seiner Jugend Fan des Vereins war.
    Piotr Chagalinsky hatte vor fünfundfünfzig Jahren in Sibirien das Licht der Welt erblickt. Schon in jungen Jahren hatte er die Eltern verloren und war bei seiner Großmutter aufgewachsen. Als brillanter Schüler bekam er ein Stipendium an der Lomonossow-Universität in Moskau und schloss das Studium als einer der Besten seines Jahrgangs ab. Nach dem Militärdienst trat er einen Job bei einem der größten Ölkonzerne Russlands an. Im Alter von siebenundzwanzig Jahren war er bereits zu einem der leitenden Direktoren aufgestiegen - ein Aufstieg, der umso bemerkenswerter war, als Chagalinsky sich standhaft weigerte, der kommunistischen Partei beizutreten. Als die Berliner Mauer fiel und damit auch die verknöcherte alte Regierung stürzte, besaß Chagalinsky, der sich inzwischen Chagall nannte, die besten Voraussetzungen, um aus den politischen und wirtschaftlichen Veränderungen den größtmöglichen Vorteil für sich zu ziehen. Er setzte alle Hebel in Bewegung, um den Ölkonzern zu modernisieren, und trieb die Produktion in die Höhe, indem er kleinere Konkurrenzfirmen schluckte. Dabei riss er sich die meisten Anteile des nunmehr privatisierten ehemaligen Staatsbetriebs unter den Nagel. Seine Angewohnheit, Rivalen zu schlucken, und sein weißblonder Haarschopf hatten ihm den wenig schmeichelhaften Spitznamen »Der Große Weiße« eingebracht.
    Vor fünf Jahren hatte Chagall sein Unternehmen für zehn Milliarden Pfund an die russische Regierung zurückverkauft. Dieser Schritt kam für viele so unerwartet, dass sie sich bis heute den Kopf über seine wahren Beweggründe zerbrachen. Schon am darauffolgenden Tag saß Chagall in einem Flugzeug nach Großbritannien. »Ich bin fertig mit Russland, und Russland ist fertig mit mir«, hatte er gesagt. Aber wie so vieles im Leben dieses Mannes war dieser Abschied lediglich eine große, medienwirksame Inszenierung gewesen. Chagall war durch und durch Russe. Er würde seinem Heimatland niemals den Rücken kehren, was seine Verstrickung mit Robert Russell mehr als deutlich machte.
    »Willkommen!«, rief Chagall mit breitem russischem Akzent und öffnete die Wagentür, noch bevor Graves den Motor abgestellt hatte. »Captain Graves. Ich fühle mich geehrt.«
    »Vielen Dank, dass Sie mich empfangen.« Graves sah über die absichtliche Degradierung großzügig hinweg. Schon jetzt war ihm klar, dass Chagall in echten Schwierigkeiten stecken musste. Milliardäre verneigten sich niemals vor der Polizei, weder in Russland noch in Großbritannien.
    »Wie könnte ich dem Sicherheitsdienst etwas abschlagen? Schließlich bin ich jetzt britischer Staatsbürger. Ein Untertan unserer verehrten Queen.«
    »Meinen Glückwunsch.« Graves überlegte, wie viel Chagall wohl für seinen britischen Pass hatte hinblättern müssen. Die Villa hatte ihn dreißig Millionen Pfund gekostet, der Fußballclub zweihundert Millionen. Was immer es ihn gekostet hatte - Chagall konnte es sich zweifellos leisten.
    »Sie sind wegen meines Freundes Robert gekommen, nicht wahr?«, fragte der Russe. »Um ehrlich zu sein, ich hatte mit Ihrem Anruf gerechnet.«
    »Wollen Sie damit sagen, Sie wissen etwas über Russells Tod?« Es stand nicht in Graves' Macht, Chagall zu einer Aussage zu zwingen. Und einen Mann zwei Stunden vor seinem Tod zu treffen verstieß nicht gegen das Gesetz. Wenn Graves herausfinden wollte, was Chagall wusste, würde er sich auf einen Deal mit ihm einlassen

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