Getäuscht - Thriller
ein Fenster oben in der Seitenwand warf er einen Blick hinein. Die Garage war leer.
Mit raschen Schritten lief Jonathan zur Straße. In einiger Entfernung hörte er die Geräusche schnell fahrender Autos. Bald darauf erreichte er eine Fernstraße. Er warf einen Blick nach Norden und nach Süden.
Dann rannte er in nördliche Richtung weiter.
Die leuchtend gelbe Ducati 350, eine Rennmaschine mit breiten Reifen und poliertem Chromauspuff, stand auf dem überfüllten Parkplatz vor einem Strandrestaurant mit Namen Coney Island. Unglaublich, dachte Jonathan, als er mit prüfendem Blick zwischen den Autos entlanglief, die Stoßstange an Stoßstange auf dem flirrenden Asphalt standen. In Amerika wurden viele Restaurants nach italienischen Städten benannt. Er war selbst schon in unzähligen Café Romas, Portofinos oder Firenzes gewesen. Jetzt schienen die Italiener es den Amerikanern gleichtun zu wollen.
Er steuerte zielstrebig auf das Motorrad zu und ging daneben in die Hocke. Der Helm hing am Lenkrad. Das Auto neben dem Motorrad verdeckte die Sicht auf die Maschine; vom Restaurant aus war sie nicht zu sehen. Wenn Jonathan Pech hatte, würde der Besitzer des Motorrads gerade jetzt das Lokal verlassen. Wenn er Glück hatte, würde er noch bleiben. So einfach war das. Doch Jonathan hatte keine Lust mehr, sich über mögliche Gefahren den Kopf zu zerbrechen.
Mit seinem Schweizer Messer schnitt er das zylindrische Zündschloss auf, entfernte die Schutzummantelung und zog die grünen und roten Drähte heraus. Die Zündung eines Motorrads war nicht mit der eines Autos zu vergleichen. Bei einem älteren Modell wie diesem stellte der Schlüssel die Verbindung zwischen Zündkerzen und Magnetzündung dar. Jonathan zwirbelte die Drähte zusammen und drückte auf den Startknopf. Das Motorrad sprang mit lautem Grummeln an. Rasch stülpte Jonathan sich den ein wenig zu großen Helm über, stieg auf, beschleunigte und bog auf die Autobahn. Das Ganze hatte nicht länger als zwei Minuten gedauert. Emma wäre stolz auf ihn gewesen.
Mittlerweile war es Viertel nach zwölf. Jonathan wechselte auf die Überholspur und gab Gas.
Er hoffte, gegen sieben Uhr in Èze zu sein.
58.
Kate Ford ließ sich erschöpft auf einen Stuhl vor einem Straßencafé sinken. »Nicht zu fassen«, murmelte sie. »Der Mann ist doch kein Gespenst. Er kann sich doch nicht einfach in Luft auflösen! Er war aus einem ganz bestimmten Grund hier. Es muss jemanden geben, der mit ihm gesprochen hat!«
Der Offizier der Carabinieri, ein Leutnant, setzte sich neben sie. Er war ein höflicher und gut aussehender Mann, aber Kate hatte den Verdacht, dass er mehr auf die schicke Uniform stand als auf seinen Job. »Wir haben die ganze Gegend abgesucht«, sagte er und ließ die kräftigen Schultern hängen.
»Noch nicht ganz«, sagte Kate. »Wir haben noch ein paar Häuserblocks weiter oben ausgelassen.«
»Das ist eine ziemlich üble Gegend«, sagte der Leutnant. »Dort treiben sich vor allem Seeleute herum. Es gibt eine Menge Bars. Da geht es ganz schön rau zu. Lassen Sie uns erst mal einen Kaffee trinken.«
Kate zog ihren Blazer aus und fächelte sich Luft zu. »Nein, danke«, sagte sie. »Für meinen Geschmack ist es ein bisschen zu warm für Kaffee. Ich sehe mich lieber etwas um.« Der Leutnant zuckte mit den Schultern, winkte den Kellner heran und bestellte sich einen Espresso. Kate erhob sich und ging ein Stück die Straße hinauf.
Seit Jonathan Ransoms Flucht am Hafen waren vier Stunden vergangen. In dieser Zeit hatten sage und schreibe sechzig Polizeibeamte das sechzehn Quadratkilometer große Gebiet rund um die Stelle durchforstet, wo der Rettungswagen Emma Ransom aufgenommen hatte. Die italienische Polizei wollte sich verständlicherweise nicht nachsagen lassen, sie hätte schlampig gearbeitet. Soweit Kate es beurteilen konnte, hatten die Carabinieri kein Hotel, keine Bar, keinen Laden und kein Café ausgelassen. Sie waren so gründlich vorgegangen wie ihre Londoner Kollegen. Kate fragte sich, ob Ransom bei seiner Suche vielleicht ebenso erfolglos gewesen war.
Als sie am oberen Ende der Straße angelangt war, bog sie in eine enge, kopfsteingepflasterte Gasse ab und genoss die Kühle des Schattens, der von den Häusern geworfen wurde. Hier standen viele alte Apartmenthäuser, ein wenig heruntergekommen, aber malerisch. Kate hielt nach Bewohnern Ausschau, aber niemand ließ sich blicken. Hier gab es schmale, verwinkelte Gassen mit zahlreichen Kneipen,
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