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Getäuscht - Thriller

Titel: Getäuscht - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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Polen. Er war Russe.
    Für Jonathan waren die Symbole zum größten Teil unverständlich. Er sprach nur so viel Russisch, dass er sich als Tourist im Land gerade so durchschlagen konnte. Seine Russischkenntnisse hatte er während der amerikanischen Invasion im Winter 2003 in einem sechswöchigen Kurs in Kabul, Afghanistan, erworben. Weil viele der afghanischen Ärzte während der russischen Besetzung vor fünfundzwanzig Jahren Russisch gelernt hatten, konnte Jonathan damals zwischen Russisch oder Paschto wählen. Er hatte sich für Russisch entschieden.
    Jonathan klickte mit der Maus auf das zentrale Eingabefeld, mit dem der Inhalt der Festplatte mit Hilfe gespeicherter Schlüsselwörter durchsucht werden konnte, und tippte »Lara«, »Emma« und »Ransom« ein.
    Auf dem Bildschirm erschien eine Auflistung der Dateien, in denen eines oder mehrere der Schlüsselwörter auftauchten. Die meisten Dateien trugen seltsame Namen wie »Report 15« oder »Kommunikation-12/Februar«, sodass Jonathan nichts damit anfangen konnte. Die fünfte Datei jedoch trug den in Großbuchstaben ausgeschriebenen Namen »Larissa Alexandrowna Antonowa«.
    Jonathan klickte zweimal auf die Datei.
    Auf dem Bildschirm erschien die eingescannte Kopie eines Personalberichts. Ganz oben stand der Name Larissa Alexandrowna Antonowa, darunter »geb. 2. August 1976«. In der rechten oberen Ecke war ein Schwarzweißfoto. Das Foto zeigte eine junge Frau von ungefähr achtzehn Jahren mit ebenmäßiger Haut und trotzigem Blick, mit dem sie den Fotografen zu warnen schien, sich ja nicht mit ihr anzulegen. Die Haare der jungen Frau waren zu einem Knoten zusammengebunden, und der Kragen ihrer Militäruniform lag eng um ihren Hals.
    Die Frau auf dem Foto war Emma.
    Jonathan empfand bei ihrem Anblick nicht die kleinste Gefühlsregung, und das erschien ihm schlimmer als die bitterste Enttäuschung. Auf dem Bericht war eine Art Firmenemblem zu sehen. Die Buchstaben kamen Jonathan irgendwie bekannt vor. Trotzdem brauchte er einige Zeit, bis er sie entschlüsselt hatte:
    FSB. Der russische Inlandsgeheimdienst.
    Jonathan überflog den Bericht und vertiefte sich in den schwer verständlichen Text. Viele Worte kannte er nicht, aber die wenigen, die er verstand, reichten ihm vollkommen aus. Während er las, schlug die Uhr Viertel nach neun. Jonathan las immer noch, als der Peugeot in die in den Fels gehauene Garage einbog und schwere Schritte auf der Verbindungstreppe zwischen Garage und Wohnbereich zu hören waren. Jonathan bemerkte nichts von alledem. Er war blind und taub für die Welt um sich herum, war voll und ganz in die entsetzliche Wahrheit abgetaucht. Für ihn zählte nur noch die Vergangenheit.
    Seite für Seite arbeitete Jonathan sich durch den Bericht. Vor seinen Augen entwirrte sich das Knäuel aus Lügen, Tarnungen und Täuschungsmanövern seiner Frau. Immer tiefer drang er in Emmas geheime Vergangenheit ein, die bis zu einem gewissen Punkt auch seine eigene war. Allein die Flut an Informationen überwältigte ihn, erstickte ihn beinahe: Daten, Orte und Namen. Schulen, Direktoren und Klassen. Prüfungen, Zeugnisse und Empfehlungen. Und danach der Wechsel von der Schule zum Militär, wo es wieder Schulen, Kurse, Abteilungen und Berichte über die körperliche Fitness und die politische Gesinnung gab. Schließlich gelangte Jonathan zum interessantesten Teil der Personalakte: Einsätze und Operationen.
    In der Akte fanden sich auch Fotos.
    Fotos von Emma als Schülerin, spindeldürr, einen Arm in einem Gipsverband und mit dem schlimmsten Hautausschlag im Gesicht, den Jonathan je gesehen hatte. Emma in Uniform bei ihrer Einführung. Wie alt war sie damals wohl gewesen? Fünfzehn? Sechzehn? Jedenfalls zu jung, um zum Militär zu gehen. Noch ein Bild von Emma in Uniform, dieses Mal mit Offiziersabzeichen. Ihre Gesichtshaut war inzwischen makellos, der Kopf stolz erhoben. Sie mochte um die achtzehn gewesen sein. Ihr Gesicht hatte mehr Fülle, ihr Blick mehr Selbstbewusstsein bekommen.
    Dann Emma in Zivilkleidung, wie sie ein Diplom überreicht bekam. Sie schüttelte ihrem Vorgesetzten, einem gut zwanzig Jahre älteren, korpulenten, grauhaarigen Mann mit gewaltigen Tränensäcken die Hand. An der Wand hing ein Wappen, auf dem ein Schild mit einem Schwert abgebildet war, das Symbol des FSB. Unter dem Foto stand ein Datum: 1. Juni 1994.
    Es gab auch Fotos von Emma, die ohne ihr Wissen aufgenommen worden waren.
    Emma bei der Inspektion auf dem Exerzierplatz inmitten

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