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Getäuscht - Thriller

Titel: Getäuscht - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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Reine?«, fragte er nun. Dieser Begriff war ziemlich oft in mehreren E-Mails aufgetaucht, die er auf dem Laptop entdeckt hatte. Die Mails stammten von Shvets und waren an eine Agentin oder einen Agenten mit dem Kürzel »L.« adressiert. In den Texten standen so viele Kürzel und Tarnbegriffe, dass Jonathan kaum etwas hatte entziffern können. Er hatte lediglich die Adresse von Shvets' Apartment in Paris herausgefunden und war auf die Information gestoßen, dass Emma in eine Operation verwickelt war, die heute stattfinden und bei der ein gut bewachtes Gebäude in die Luft gejagt werden sollte.
    »La Reine«, fragte Jonathan noch einmal. »Was ist das?«
    Shvets erwiderte nichts. Er hockte auf dem Sofa und rieb sich behutsam den geschundenen Kiefer. Auf seinem Gesicht lag ein selbstsicherer, leicht amüsierter Ausdruck.
    »Wenn Sie es mir nicht verraten wollen, frage ich die Polizisten da unten.« Jonathan machte eine Kopfbewegung zum Fenster.
    »Nur zu. Die Bullen werden Sie verhaften und ins Gefängnis werfen, bevor Sie auch nur zwei Worte über die Lippen bringen. So wie ich es sehe, steht Ihnen eine lange Haftstrafe in einem britischen Knast bevor.«
    Shvets sprach die Worte so gelassen aus, als hätte man ihm bereits mit viel Schlimmerem gedroht. Ihn würde so schnell nichts aus der Ruhe bringen.
    »Was mit mir passiert, ist mir im Moment ziemlich egal. Ich mache mir Sorgen um Emma.«
    »Ich könnte es arrangieren, dass Sie sie wiedersehen. Schon morgen könnten Sie mit ihr zusammen sein. Weit weg von hier.«
    »Morgen ist es zu spät. Ich will wissen, wo sie jetzt ist. Genau in diesem Augenblick.«
    »Sie sollten sich mein Angebot noch einmal durch den Kopf gehen lassen. Ich kann dafür sorgen, dass sie sicher von hier wegkommen. Als freier Mann. Ohne Gefahr zu laufen, den Rest Ihres Lebens hinter Gittern verbringen zu müssen. Was halten Sie davon?«
    »Nein, danke«, sagte Jonathan. »Ich verzichte.«
    Von der Straße drang Sirenengeheul herauf. Jonathan blickte aus dem Fenster und sah, dass zwei Rettungswagen sich einen Weg durch die Menge der Polizisten und Schaulustigen bahnten. Jonathan richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf Shvets und versuchte sich vorzustellen, dass dieser müde, grauhaarige Mann in dem verknitterten Anzug der Chef des FSB war.
    »Wo haben Sie Emma überhaupt gefunden?«
    »Sie meinen Lara. Sie stammt aus einem kleinen sibirischen Dorf mit Namen Kolymskoye. Ein trostloser Ort. Ihr Vater hat auf einem Fischerboot gearbeitet und war im Jahr elf Monate auf See. Ihre Mutter hat in einer Fischfabrik gearbeitet und in ihrer Freizeit gesoffen. Lara wurde oft von ihr verprügelt. Als ihre Mutter ihr im Suff den Arm und das Bein brach, nahmen die Behörden ihr Lara weg. Damals war sie sieben. Wir haben eine Abteilung, die darauf spezialisiert ist, Leute wie Lara aufzuspüren. Blitzgescheit, ohne Elternhaus und auf die Hilfe vom Staat angewiesen. Diamanten im Rohzustand, wenn Sie so wollen. Der Direktor ihrer Schule hat uns auf Lara aufmerksam gemacht. Mit dreizehn Jahren konnte sie mühelos Differentialgleichungen lösen und hatte sich selbst Italienisch, Französisch und Deutsch beigebracht. Sie hatte einen Spitzen-IQ.« Shvets Augen leuchteten, als er an die Vergangenheit zurückdachte. »Ich habe sie höchstpersönlich nach Moskau gebracht. Sie hätten sie sehen sollen. Diese unglaubliche Sehnsucht. Dieser Ehrgeiz. Dieses Temperament. Und natürlich ihre Schönheit. Völlig unberührt von westlichen Einflüssen. Sie war damals ein bisschen zu dünn und hatte ein Ekzem im Gesicht, aber man konnte auf den ersten Blick erkennen, dass sie bei angemessener medizinischer Versorgung und guter Pflege zu einem ganz besonderen Juwel heranreifen würde.«
    »Haben Sie sie denn gefragt, ob sie zum KGB will?«
    »Das war nicht nötig. Es war von Anfang an ihr Wunsch. Sie war für diese Arbeit wie geschaffen. Eine der wenigen Ausnahmen. Sie ist wie ein Hai, der stirbt, wenn er nicht mehr jagen kann. Nur dass sie statt Fleisch den Adrenalinkick braucht. Machen Sie sich nichts vor, Dr. Ransom. Sie war niemals das nette Mädchen von nebenan.«
    Jonathan trat dicht vor den Russen hin. Er spürte das Gewicht der Pistole in seiner Hand. Mit festem Griff umklammerte er die Waffe und legte den Finger an den Abzug. Er hatte schon einmal einen Menschen getötet. Er hatte dem Mann die Pistole an die Schläfe gesetzt und abgedrückt. Und er hatte nichts dabei empfunden, weder Reue noch Schuld. Nur die Gewissheit

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