Getäuscht - Thriller
Hotelangestellte und verteilte Namensschilder an die geladenen Gäste. Sie waren in alphabetischer Reihenfolge, doch Jonathan konnte sein Schild nirgendwo entdecken. Hilfesuchend wandte er sich an die junge Frau.
»Sie sind einer der Vortragsredner, Sir!« Sie lächelte ihn strahlend an. »Ihr Namensschild ist an einem speziellen Platz. Ich bin gleich zurück.«
Ein schmächtiger Mann mit grauen, lockigen Haaren trat neben Jonathan. »Man sollte meinen, dass dieses Hotel bei einer solchen Ansammlung von erstklassig geschultem Personal besser organisiert ist.«
»Ich sehe das genau anders herum«, antwortete Jonathan. »Bei Organisationsproblemen gibt es meistens zu viele Chefs, und zu viele Köche verderben bekanntlich den Brei.«
»Sind Sie Dr. Ransom?«, fragte der Fremde.
»Kennen wir uns?«
»Nein, aber ich habe Ihr Foto im Programmheft gesehen.« Der Mann zog einen Prospekt aus der Jacketttasche und schlug eine Seite darin auf. Jonathan warf einen Blick auf das Foto. Es war ein Passbild, das er vor vier Jahren in Amsterdam hatte machen lassen. Er fragte sich, wie die Gesellschaft an dieses Foto gekommen war. Er konnte sich nicht daran erinnern, es ihnen geschickt zu haben.
»Ich bin Professor Thomson«, stellte der ältere Mann sich vor.
»Ist mir eine Ehre, Professor.«
Die Männer schüttelten sich die Hände.
»Hatten Sie einen angenehmen Flug?« Thomson war um die sechzig, hatte dunkle, aufmerksame Augen und eine bodenständige Art. Jonathan mochte ihn auf Anhieb.
»Ja. Wir sind sogar früher als geplant gelandet«, sagte Jonathan. »Heutzutage grenzt das an ein Wunder.«
»Sind Sie mit dem Hotel zufrieden?«
»Es übertrifft meine Erwartungen. Sie hätten sich nicht so in Unkosten stürzen sollen.«
In diesem Moment kam die Hotelangestellte mit Jonathans Namensschild zurück und befestigte es an seinem Blazer. Im Vergleich zu den anderen Schildern, bei denen der Name auf Papier geschrieben war, das in einer Plastikhülle steckte, war Jonathans Namensschild fast doppelt so groß und mit einer blauen Schleife verziert.
»Bitte tragen Sie das Schild während Ihres gesamten Aufenthalts im Hotel am Revers«, bat die Dame ihn. »Einige Konferenzteilnehmer haben kein allzu gutes Namensgedächtnis.«
»Vielen Dank.« Jonathan blickte entsetzt auf das Namensschild mit Schleifchen. Er kam sich vor wie ein preisgekröntes Exemplar in einer Hundeshow. Als er sich zu Thomson umdrehte, stellte er fest, dass der Mann in der Menge verschwunden war.
Der Raum füllte sich zusehends mit Konferenzteilnehmern. Jonathan fiel auf, dass unter den Ärzten etwa gleich viele Männer und Frauen vertreten waren. Die meisten hatten ihre Ehepartner im Schlepptau. Alle hatten sich in Schale geworfen: Die Frauen trugen Cocktailkleider, die Männer dunkle Anzüge. Jonathan ging zur Bar und bestellte sich ein Flaschenbier. Es war eisgekühlt, genau so, wie er es mochte, und er trank die Flasche in einem Zug halbleer. Ein Tropfen lief an seinem Kinn hinunter, und er wischte ihn mit dem Ärmel ab.
»Hier gibt es Servietten«, ertönte eine mürrische Stimme mit britischem Akzent direkt hinter ihm.
Jonathan drehte sich um und blickte einem sympathisch aussehenden, stämmigen Mann mit braunem Haar und blitzenden blauen Augen direkt ins Gesicht. »Jamie! Das ist ja eine nette Überraschung.«
»Falls du jemals vorhaben solltest, Teilhaber meiner Praxis in der Harley Street zu werden, musst du dich vorher zu einem Benimm-Kurs anmelden«, sagte Jamie Meadows. »Meine Patienten legen viel Wert auf die äußere Erscheinung und das Auftreten ihres Arztes. Weißer Kittel, blitzblanke Schuhe. Gütiger Himmel, trägst du da etwa Wüstenstiefel?«
Jonathan drückte Meadows an die Brust. Beide waren zur selben Zeit in Oxford gewesen, wo sie einen der begehrten Plätze für die Ausbildung im Fachbereich Rekonstruktive Chirurgie ergattert hatten. Ein Jahr lang hatten sie sich eine Wohnung in der High Street geteilt.
»Was machst du denn hier?«, fragte Jonathan.
»Glaubst du, ich lasse mir die Gelegenheit entgehen, ein paar faule Tomaten auf meinen alten Zimmergenossen zu werfen?«, fragte Meadows. Er zog sein zusammengerolltes Veranstaltungsheft aus der Tasche und klatschte es wie einen Schlagstock in die geöffnete Hand. »Weiterbildende Maßnahme. Für deine Rede werden mir zwei Stunden angerechnet. Fairerweise warne ich dich schon mal im Voraus. Ich habe mir ein paar hochinteressante Fragen überlegt, die dir auf dem Rednerpult
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