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Getäuscht - Thriller

Titel: Getäuscht - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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Sein Gesicht wirkte durch das schüttere Haar lang und schmal, aber durchaus sympathisch. Die dunklen, klugen Augen studierten Jonathan aufmerksam. »Haben Sie meine Nachricht erhalten?«, fragte er. »Ich habe eine Notiz an Ihr Programmheft gehängt. Der Concierge hat mir versichert, dass Sie beides bekommen haben. Ich dachte, es wäre sinnvoll, vor Ihrem Vortrag morgen ein paar Dinge abzuklären.«
    »Ihre Nachricht?« Mit einem Schlag fiel Jonathan wieder der Notizzettel mit der eleganten Handschrift ein: Ich freue mich, Sie auf dem Empfang begrüßen zu dürfen. Bei der Gelegenheit würde ich gerne ein paar organisatorische Fragen klären, Ihren Vortrag betreffend.
    »Das Programm mit dem Notizzettel war von Ihnen?«
    »Aber sicher. Von wem sonst?« Als Jonathan nichts erwiderte, fuhr der Mann fort: »Ich hoffe, Sie sind mit Ihrer Unterkunft im Hotel zufrieden. Einige unserer Mitglieder finden die Zimmer ein bisschen zu luxuriös, aber ich denke, die Unterkunft sollte unserem Berufsstand angemessen sein. Wir sind schließlich Ärzte, keine Handlanger. Ein Kongress dieser Größenordnung wäre in einem Hotel wie dem Earl's Court undenkbar. Aber genug davon. Wie war Ihr Flug? Sind Sie gut in London angekommen?«
    Jonathan gab immer noch keine Antwort. Er hörte kaum noch, was der Mann sagte. Wie hypnotisiert starrte er auf das Namensschild seines Gegenübers:
    Prof. Napier Thomson

10.
 
    »Ich kann Ihnen keine Auskünfte über Robert Russells Aufgabenbereich in diesem Unternehmen geben«, sagte der selbstgefällige, arrogante Mann, der Kate gegenübersaß. »Jeder, der bei uns arbeitet, ist zu absolutem Stillschweigen verpflichtet. Natürlich würden wir Ihnen gerne bei Ihren Ermittlungen helfen, aber leider sind uns die Hände gebunden. So sind nun mal die Vorschriften.«
    Ian Cairncross, Direktor von Oxford Analytica, war um die sechzig, mit schütterem Haarkranz und einer Gleitsichtbrille auf der Nasenspitze. Er saß hinter seinem Schreibtisch in der Alfred Street und betrachtete Kate gelangweilt. Durch das offene Fenster drang das laute Stimmengewirr aus dem benachbarten Coach and Arms Pub in das Büro. Kate lauschte nun schon seit etwa zehn Minuten einem ausgedehnten Monolog über die Entstehungsgeschichte von Oxford Analytica.
    Die Beraterfirma war 1975 von einem amerikanischen Juristen gegründet worden, der unter anderem in Nixons Präsidentschaftsjahren Assistent bei Henry Kissinger gewesen war. Die Idee zur Gründung einer solchen Firma war ihm während seiner Habilitation in Oxford gekommen. Für ihn stellte die akademische Bandbreite der Professoren und Dozenten, die in einem relativ überschaubaren Raum wie dem Christ Church College aufeinandertrafen, ein enormes Potential an herausragendem Wissen auf sämtlichen Gebieten dar, von Wirtschaft über Politikwissenschaft bis hin zu Geographie. Wenn es ihm gelänge, dieses geballte Fachwissen richtig zu nutzen, könnte er mit Hilfe der Experten vielleicht Fragen von allergrößter Wichtigkeit für Regierungen und multinationale Konzerne rund um den Globus beantworten. Er wollte, dass die Professoren Probleme analysierten, zum Beispiel die Entwicklung des Ölpreises oder die Frage, wer die Nachfolge des sowjetischen Staatschefs antrat. So wurde Oxford Analytica als erster »öffentlicher Geheimdienst« der Welt ins Leben gerufen. Die Fachkompetenz der Beraterfirma war allen Interessenten offen zugänglich, vorausgesetzt, sie besaßen das nötige Kleingeld, um die stattlichen Gebühren für die Problemanalysen zu zahlen.
    »Wir haben auch unsere Regeln bei der Polizei«, sagte Kate. »Zum Beispiel dürfen wir keine Einzelheiten über unsere laufenden Ermittlungen preisgeben. Es wäre also höchst nachlässig von mir, Ihnen gegenüber zu erwähnen, dass Lord Russell zum Zeitpunkt seiner Ermordung eine geladene Waffe im Schreibtisch aufbewahrte, aber keine Gelegenheit hatte, sie zu benutzen. Oder dass er einen heftigen Schlag auf den Kopf bekam, der vielleicht sogar tödlich war, bevor er über den Balkon stürzte. Außerdem dürfte ich Ihnen unter keinen Umständen sagen, dass die Person, die um 2.40 Uhr nachts im Apartment auf Lord Russell gewartet hat, unbemerkt von drei Wachleuten und unzähligen Überwachungskameras ins Apartment eindringen konnte. Der Eindringling hat das hypermoderne Alarmsystem in der Wohnung ausgetrickst. Und was uns am meisten nervt: Wir haben nicht die leiseste Ahnung, wie der Mörder aus dem Apartment herausgekommen ist, denn der

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