Getäuscht - Thriller
Alarm in der Wohnung war immer noch eingeschaltet, als wir kamen. Soll ich Ihnen meine Meinung verraten?«
Ian Cairncross nickte mit weit aufgerissenen Augen.
»Lord Russell wurde von einem Profi ermordet. Ich rede hier nicht von einem gemeinen Dieb, der schon ein oder zweimal erfolgreich einen Bruch gelandet hat, sondern von einer Person, die von den Besten der Besten ausgebildet worden ist. Mit einem öffentlichen Geheimdienst hat das hier nichts mehr zu tun, das dürfte Ihnen doch wohl klar sein. Ich wage auch zu behaupten, dass der Mörder von Lord Russell, ohne mit der Wimper zu zucken, jeden ins Jenseits befördern würde, der vielleicht weiß, womit Lord Russell sich gerade befasste. Und ich meine wirklich jeden, also auch einen Mann wie Sie.«
Kate schwieg und ließ ihre Worte auf Cairncross wirken, dessen Gesicht aschfahl geworden war.
»Eine Sache wäre da noch«, fuhr Kate fort. »Falls Sie sich entschließen sollten, gegen eine Ihrer Firmenregeln zu verstoßen, kann ich Ihnen einen 24-Stunden-Personenschutz zusichern, damit Ihnen zu Hause nicht ein ähnliches Schicksal widerfährt wie Russell. Vorausgesetzt, Sie haben überhaupt einen Balkon. Ihre Privatadresse wird ja wahrscheinlich kein Geheimnis sein.« Sie blickte Cairncross ins Gesicht und lächelte aufmunternd. »Wenn Sie also erlauben, Sir, werde ich Sie noch ein letztes Mal fragen, woran Robert Russell gerade gearbeitet hat.«
Cairncross antwortete beinahe flüsternd: »GSPM.«
Kate lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und zückte ihr Notizheft. »Ich höre.«
»Global Stress Points Matrix«, fuhr Cairncross mit lauterer Stimme fort. »Das ist eine Art Frühwarnsystem für unsere Kunden. GSPM soll sie über mögliche zukünftige Risiken aufklären. Wir haben eine Liste mit zwanzig Hauptindikatoren erstellt, mit deren Hilfe wir zukünftige Entwicklungen in bestimmten Bereichen ziemlich genau vorhersagen können.«
»Was für Entwicklungen?«
»Zum Beispiel, wer der nächste Regierungschef in Japan wird. Oder eine Langzeitprognose für die Inflationsrate in den USA. Oder die Anzahl der Bohrinseln in Saudi-Arabien, die in den nächsten Jahren entstehen werden, und die daraus resultierende Entwicklung des Ölpreises.«
»Lord Russell wurde wohl kaum umgebracht, weil er sich bei der Berechnung des Preises für ein Barrel Öl verschätzt hat«, erwiderte Kate.
»Nein«, sagte Cairncross. »Wohl kaum. Robert hat unser GSPM-Programm noch eine Stufe vorangetrieben. Sagt Ihnen der Begriff ›Open Source Intelligence‹ etwas?«
Kate erinnerte sich verschwommen an ein Dokument mit einem ähnlichen Titel, das sie auf Russells Schreibtisch gesehen hatte, aber sie hatte keine Idee, worum es dabei ging.
»Das ist die Richtung, die heutzutage alle einschlagen«, sagte Cairncross.
»Wen meinen Sie mit ›alle‹?«
Cairncross musterte sie prüfend. »Ich kann Ihnen nur sagen, dass wir neben den Konzernen noch andere Kunden haben. Einige führende Köpfe unserer Regierung und andere hochrangige Personen verfolgen unsere Arbeit mit großem Interesse. Früher wurden Informationen nur dann als wichtig eingestuft, wenn sie mit dem Vermerk ›Top Secret‹ versehen waren. Sobald eine Information der Öffentlichkeit zugänglich war, wurde sie irrelevant. Aber das war ein verhängnisvoller Irrtum. In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass alle Informationen, die Auskunft darüber geben, was unsere Freunde oder Feinde gerade im Schilde führen, bereits öffentlich zugänglich sind. Die Welt erstickt an Informationen. Sie werden nicht spärlich gestreut, sondern in solch verschwenderischem Ausmaß preisgegeben, dass wir völlig den Überblick verlieren. Das Problem besteht also darin, aus der Fülle des Materials die wirklich relevanten Informationen herauszupicken. Das Internet scheint die Grenzen immer mehr aufzuheben. Nehmen Sie allein die Welt der Stars und Sternchen. Sie kennen David Beckham wahrscheinlich nicht persönlich, aber Sie wissen, wer seine engsten Freunde sind, wo er gestern zu Abend gegessen und wie viel Trinkgeld er gegeben hat oder wo er übermorgen sein wird. Man könnte dieses Phänomen auch als überprüfbare Geheimdienstarbeit bezeichnen. Können Sie sich vorstellen, wie sehr es den Lauf der Geschichte verändert hätte, wenn wir auch nur annähernd so viel über Adolf Hitler, Josef Stalin oder Saddam Hussein gewusst hätten? Wer braucht heute noch eine Minox-Spionagekamera, wenn die gleiche Arbeit mit einem Handy geleistet werden
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