Getäuscht - Thriller
dachte Jonathan, und drei waren ohne Frage einer zu viel.
Noch elf Minuten.
In diesem Moment fiel sein Blick auf die riesige digitale Anzeigentafel über dem Fahrkartenbüro. Auf ihr wurde gerade eine Farbfotografie von Dr. Jonathan Ransom eingespielt. Am unteren Bildrand wurde im Fließtext die Frage eingeblendet: »Wer hat diesen Mann gesehen? Name: Dr. Jonathan Ransom. Wird gesucht im Zusammenhang mit dem Londoner Bombenattentat vom 26. Juli. Der Gesuchte ist eins neunzig groß, Gewicht ca. 90 Kilo. Ist wahrscheinlich bewaffnet und gefährlich. Wer Informationen über seinen Aufenthaltsort geben kann, wird gebeten, folgende Nummer anzurufen ...« Auf dem Bildschirm erschien eine Nummer mit Londoner Vorwahl.
Trotz der Hitze lief Jonathan ein kalter Schauer über den Rücken. Als Verkleidung dienten ihm nur eine Kappe, unter der er sein graumeliertes Haar verbarg, und eine Sonnenbrille mit breitem Bügel. Nicht viel, aber im Moment sah er zumindest nicht wie der Mann auf der Anzeigentafel aus. Er starrte auf das Foto von ihm. Es war dasselbe Bild wie in dem Faltblatt des Ärztekongresses. Der Versuch, sich eine Mitfahrgelegenheit zu erkaufen, kam jetzt nicht mehr in Frage. Er würde sich heimlich auf einen der Laster schleichen müssen.
Noch zehn Minuten bis zum Boarding.
Nur noch zehn Minuten, um einen Fluchtweg aus England zu finden.
Jonathan wischte sich den Schweiß von der Stirn und lief weiter.
Der Parkplatz wirkte wie ein moderner Viehhof, auf dem statt Stieren mit langen Hörnern und grasenden Kühen Sattelschlepper und riesige Laster standen. Das gelegentliche Tuten eines stählernen Luftstutzens war fast so entnervend wie das Muhen von zehntausend verängstigten Kühen, und die Abgase verpesteten die Luft wie gewaltige Mengen von Kuhdung. Wäre der Parkplatz nicht an drei Seiten vom Meer umgeben gewesen, hätte die Vorstellung, in unmittelbarer Nähe des Meeres zu sein, geradezu absurd gewirkt.
Jonathan suchte nun bereits die zweite Reihe ab. Er hatte London in Jamie Meadows' Jaguar verlassen. Der Wagen war am Hintereingang geparkt gewesen - so, wie Jamie es ihm gesagt hatte. Es war ein Risiko gewesen, aber im Moment war alles, was er tat, riskant. Er war bis drei Uhr morgens gefahren und hatte dann in Canterbury die Autobahn verlassen, um sich ein wenig auszuruhen. Doch zum Schlafen war er viel zu aufgedreht gewesen.
Um fünf Uhr morgens war er am Fährhafen angekommen. Nachdem er einen Blick auf die Fahrpläne geworfen hatte, war er bis zum Stadtrand von Dover gefahren und hatte den Wagen auf der vierten Etage eines Langzeitparkhauses abgestellt. Er hatte sogar einen Überwurf von einem in der Nähe geparkten Mercedes gestohlen und den Jaguar darunter versteckt.
Wieder ertönte ein Hupen, länger und lauter dieses Mal. Am hinteren Ende des Parkplatzes wurde eine Schranke heruntergelassen, die möglichen Nachzüglern den Zugang zum Parkplatz versperrte. Jonathan blieb stehen und lehnte sich gegen einen Kotflügel, um die versammelten Lkws ein letztes Mal in Augenschein zu nehmen. Er sah Laster aus Deutschland, Belgien, Frankreich, Schweden und Spanien. Aber wo waren die Laster aus Italien?
Jonathans Überlegungen waren einfach, aber mit einigen Problemen verbunden. Emma hatte ihm gesagt, dass sie in Rom überfallen worden war. Die Narbe hatte ihm verraten, dass die Wunde sofortige medizinische Hilfe verlangt hatte und womöglich ein Krankenhausaufenthalt nötig gewesen war. Folglich musste es in irgendeinem Krankenhaus einen medizinischen Bericht über Emmas Verletzung geben. Jonathan war sich allerdings ziemlich sicher, dass Emma unter falschem Namen behandelt worden war. Alles, was er hatte, waren ein Foto von ihr und seine Erfahrung im Umgang mit Krankenhauspersonal.
Einen kleinen Trumpf aber hatte er noch im Ärmel.
Der Zufall hatte ihm diesen Trumpf während eines seiner Einsätze für Ärzte ohne Grenzen in die Hände gespielt. Vor Jahren war ein italienischer Mediziner für drei Monate zur Station der Ärzte ohne Grenzen in Eritrea am Kap von Afrika hinzugestoßen, wo auch Jonathan zu der Zeit gearbeitet hatte. (Ein Aufenthalt von dieser Dauer war bei den Ärzten ohne Grenzen eher die Regel als die Ausnahme; der größte Teil der Einsätze dauerte drei bis sechs Monate.) Der Name des Arztes war Luca Lazio gewesen. Wenn Jonathan sich nicht täuschte, hatte Lazio eine Praxis in der Nähe des Parks der Villa Borghese in Rom.
Die Sache hatte nur einen Haken. Jonathan und Lazio waren nicht
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