Getäuscht - Thriller
gerade als Freunde auseinandergegangen. Tatsächlich hatte einer von ihnen sogar eine gebrochene Nase davongetragen.
Aber Lazio schuldete ihm noch viel mehr.
Jonathan würde nach Rom fahren.
Ein schriller Pfiff ertönte. Dann ließ ein Donnern die Luft erzittern, als die Fahrer ihre Motoren anließen. Nacheinander fuhren die Laster über eine breite Eisenrampe langsam auf die Fähre und verschwanden in einem düsteren Loch, aus dem sie erst am Ende der neunzigminütigen Reise wieder auftauchen würden.
In Panik rannte Jonathan an der langen Schlange der Lastwagen entlang.
Plötzlich entdeckte er seine Chance.
In der letzten Reihe kletterte der Fahrer eines Interfreight-Lasters gerade aus dem Fahrerhaus und lief mit eiligen Schritten zum Fahrkartenschalter. Er hatte ein Handy am Ohr, und seine geröteten Wangen und die zornigen Antworten ließen darauf schließen, dass er sich mit jemandem stritt. Jonathan schlich näher an den Laster heran. Er konnte das Nummernschild noch nicht erkennen, aber das war jetzt ohnehin egal: Überall war es für ihn sicherer als in England. Er umrundete das hintere Ende des glänzenden Chrommonsters, das Gas transportierte, und blieb vor dem Fahrerhaus stehen. Der Fahrer war im Fahrkartenbüro verschwunden. Zwischen dem Büro und dem Lkw lagen gut zehn Meter. Die Morgensonne spiegelte sich in der Windschutzscheibe, sodass Jonathan nicht sehen konnte, ob noch jemand im Fahrerhaus saß. Er schaute sich das Nummernschild an. Auf dem schwarzen, rechteckigen Schild standen sieben weiße Nummern hinter den Buchstaben MI.
MI für Milano.
Er hatte den rettenden Lastwagen gefunden.
Jonathan ging mit selbstbewussten Schritten zur Wagentür, stieg auf das Trittbrett an der Beifahrerseite und zerrte am Türgriff. Die Tür war unverschlossen. Er kletterte auf den Sitz und zog die Tür hinter sich zu. Niemand war zu sehen. Im Zündschloss baumelten die Schlüssel. Im Armaturenbrett befand sich ein großer GPS-Monitor, und der Aschenbecher quoll über. Aus dem Radio klang laute italienische Schnulzenmusik.
Hinter dem Sitz sah Jonathan einen zugezogenen Vorhang. Er zog ihn ein Stück auseinander und entdeckte zwei Einzelbetten direkt nebeneinander. Die Betten waren ungemacht; darauf verstreut lagen Kleidungsstücke. Anstelle von Playboy -Magazinen entdeckte Jonathan einen Stapel Zeitungen und Magazine, darunter den Spiegel und Il Tempo sowie ein Buch mit dem Titel History of Stoicism.
Na toll, dachte Jonathan, ein intellektueller Lastwagenfahrer.
Er warf einen Blick zurück auf den Parkplatz. Der Fahrer war soeben aus dem Büro gekommen und kam zu seinem Lkw gerannt, das Handy immer noch am Ohr.
Jonathan kletterte in die Schlafkabine und zog den Vorhang hinter sich zu. Er schnappte sich einen Arm voll Kleidungsstücke, legte sich auf das hintere Bett, zog die Decke über sich und verteilte die zerknitterten und nach Schweiß riechenden Kleidungsstücke darüber. Gerade als er die Decke über den Kopf zog, wurde die Fahrertür aufgerissen. Die Fahrzeugkabine schaukelte leicht, als der Fahrer sich auf den Sitz schwang.
Der Laster schob sich langsam voran. Jonathan hörte, wie ein Feuerzeug angezündet wurde, und roch den schwachen Duft einer Zigarette. Der Fahrer telefonierte pausenlos weiter. Seinem Akzent nach zu urteilen, war er Süditaliener. Er redete mit einer Frau, vielleicht seiner Ehefrau, und das Gespräch war alles andere als freundlich. Sie hatte zu viel Geld für eine neue Matratze ausgegeben, obwohl die Familie einen neuen Warmwasserboiler brauchte. Der heftige Streit, der folgte, war vorprogrammiert.
Lautes Rumpeln war zu vernehmen, als der Laster auf die Rampe fuhr, gefolgt von dumpfen Fahrgeräuschen, als der Lkw immer tiefer im Bauch der Fähre verschwand. Schließlich hielt er. Jonathan wartete darauf, dass der Fahrer ausstieg, um sich während der Überfahrt an Bord der Fähre zu vergnügen. Passagiere konnten sich die anderthalbstündige Fahrt mit Duty-free-Einkäufen verkürzen oder sich in einer der Bars, einem Internetcafé oder einem Restaurant stärken.
Doch der Fahrer rührte sich nicht vom Fleck. Neunzig Minuten lang stritt er sich mit seiner Frau, die Laura hieß und mindestens drei unterbelichtete Brüder hatte, die der Familie einen Haufen Geld schuldeten. Dabei rauchte der Mann eine Zigarette nach der anderen.
Die Fähre legte pünktlich um 8.30 Uhr an. Es dauerte zehn Minuten, bis der Laster schließlich anfuhr. Nach weiteren zehn Minuten rollte er von
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