Geteiltes Geheimnis
geküsst hatte, war jetzt drei Tage her. Seitdem hatten wir uns verlegen gemieden. Wir entschuldigten uns übertrieben für jedes zufällige Anrempeln im Flur, dankten uns ebenso übertrieben für jeden Kaffee oder Hammer, den wir uns reichten.
Als er kurz beim Schichtwechsel allein im Büro mit mir war, flüsterte Will mir zu, dass er zwei Dinge klarstellen wollte – und dass er damit zum letzten Mal auf das Geschehene anspielen würde. »Nummer eins: Ich bedauere nichts von dem, was ich getan oder gesagt habe. Und Nummer zwei: Ich will immer noch, dass du den Job oben im Restaurant annimmst.«
»Gut«, antwortete ich. »Ich nehme an. Den Job, meine ich. Aber das andere? Das darf nicht noch einmal passieren. Es ist nicht fair – nicht mir gegenüber, aber auch Tracina und dem Baby gegenüber nicht.«
Mit leiser Stimme versicherte er mir, während wir beide immer wieder ängstlich auf Schritte aus dem Flur lauschten, dass sich keine weiteren Dramen abspielen würden. Keine verstohlenen Küsse mehr, keine Heimlichkeiten. Wir gaben uns sogar die Hand darauf, wobei die Berührung seiner Haut mich wie immer wie ein elektrischer Schlag durchfuhr.
Und heute, während ich neben Mark auf der Parkbank saß und sein attraktives Profil betrachtete, wurde mir klar, dass ich einerseits nicht in der Lage war, mich von dem Mann fernzuhalten, den ich wirklich haben wollte, andererseits aber auch keine Gefühle für jemanden entwickeln konnte, den ich nicht wollte. Ich brauchte also einen Mann in der Mitte. Ich brauchte einen Keil zwischen mir und Will und zwischen mir und Mark.
Der einzige Mensch, der sowohl meinen Geist als auch meinen Körper nicht losließ, war Jesse, aber der sollte eine letzte Runde mit Dauphine drehen. Wenn ich nicht für Ersatz sorgte. In diesem Augenblick traf es mich wie ein Blitz aus heiterem Himmel.
»… jedenfalls, na ja, ich bin durchaus auch auf Abenteuer aus, Cassie, und vielleicht bist du ja auch nur ein Abenteuer. Aber wenn du nicht in mich verknallt bist, dann ist das okay. Das juckt mich nicht wirklich.«
Meine Gedanken wanderten weiter. Beide waren jung, ungestüm und schlaksig. Beide hatten dieses sexy Grinsen. Beide sahen in einem weißen Tanktop gut aus – eine Seltenheit bei jedem außer Marlon Brando. Aber Jesse besaß Wärme und Freundlichkeit, vielleicht weil er ein Kind hatte. Mark hingegen war einfach nur ein übermütiger Flegel. Jesse war tätowiert, und ich wunderte mich immer noch, dass Mark es nicht ebenfalls war. Ich versuchte zu berechnen, wann Dauphine ihre Jesse-Fantasie haben würde. In ein paar Tagen würde sie aus Buenos Aires zurück sein, dann würde sich die nächste Fantasie innerhalb eines Monats abspielen. Ich wurde nervös. S.E.C.R.E.T. -Neulinge mussten eine Reihe von Tests über sich ergehen lassen, die Wochen dauern konnten. Ich musste also schnell handeln.
Mark schnippte vor meiner Nase mit den Fingern. »Hallo? Erde an Cassie?!«
»Sorry. Da bin ich wieder. Die Hunde … sind so süß. Ich habe mich ablenken lassen.« Ich drehte mich zu ihm und sah ihm nun aufmerksam ins Gesicht. »Weißt du, es gefällt mir, dass du Abenteuer sammelst. Du bist jung. Genau das solltest du auch. Du solltest dich jetzt nicht an eine einzige Frau binden, habe ich recht?«
»Kann sein«, sagte er. »Aber immerhin bin ich Musiker. Wir haben gern Freundinnen. Sie erden uns, während wir kreativ sind.«
»Stimmt.«
Die Hunde umkreisten einander, schnüffelten. Ich sah ihm in die Augen, meinen Mund zu einem energischen Strich verzogen. »Wenn es dir also ernst ist mit dem Sammeln von Abenteuern, dann habe ich etwas für dich. Ein großes Abenteuer. Ein unglaubliches. Die Art von Abenteuer, die du nirgends sonst findest.«
»Oder mit niemandem sonst?«, fragte er und beugte sich vor, um mich zu küssen.
Ich hielt abwehrend die Hände hoch. »Dieses Abenteuer wirst du … mit anderen Frauen haben. Mit interessanteren Frauen als mir. Abenteuerlustigen Frauen. Wenn du dafür offen bist.«
Sein Lächeln wurde breiter. Männer haben es in der Tat einfacher, dachte ich. Er brauchte keine große Einleitung oder Versicherungen, bevor er meinen Vorschlag überdachte – den gleichen schockierenden Vorschlag, den Matilda mir und den ich vor wenigen Monaten Dauphine gemacht hatte. Er brauchte keine Aufwärmphase, er brauchte keinen Trost und musste auch nicht zu irgendetwas überredet werden. Man musste sich ihm nicht vorsichtig nähern. Er hatte keine tief in seiner Seele
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