Geteiltes Geheimnis
… Es ist gut , weißt du? Ich mag Jesse wirklich, und der Sex ist fantastisch. Aber ich denke … ich glaube, ich liebe Will.«
»Hast du Will das gesagt?«
»Nein.«
Nachdenklich lehnte sie die Fingerspitzen aneinander. »Nun, worauf wartest du? Du kannst ihn dir nicht immer zwischen zwei Frauen schnappen, Cassie.«
»Aber was ist mit Jesse?«
»Ich glaube, er wird es überleben. Und er kann immer herkommen.«
Ich bekam einen Kloß im Hals bei dem Gedanken, dass er mit jemand anderem zusammen sein könnte. Matilda hatte etwas für ihn übrig, das wusste ich jetzt. Was habe ich getan? Was soll ich tun?
»Wenn du dich entschieden hast, dann sag uns Bescheid. Ich hatte eigentlich gehofft, dass du dich demnächst dem Komitee anschließt. Mit deiner Stimme kriegen wir vielleicht auch mal einen rothaarigen Mann über die Einführungsrunde. Unterdessen haben wir dies hier gerade an die Presse und an andere wichtige Leute verschickt«, sagte sie und öffnete eine Schublade. Sie gab mir eine Einladung. »Ich hoffe, dass du kommen kannst. Und bring auf jeden Fall jemanden mit. Einen von beiden.«
S.E.C.R.E.T. lädt herzlich zur öffentlichen Vorstellung unserer Neuen Wohltätigkeitsinitiative ein, mit der wir benachteiligte Frauen und Kinder in NOLA unterstützen.
Im Latrobe’s on Royal
Um Abendgarderobe wird gebeten
Ich war schockiert, S.E.C.R.E.T. in den vertrauten, geschwungenen Buchstaben auf einer öffentlichen Einladung zu lesen.
»Matilda! Das ist der Name der Gruppe . Ich meine, du hast S.E.C.R.E.T. ganz einfach öffentlich gemacht! Ich könnte Will zu so einer Veranstaltung gar nicht mitbringen. Er würde anfangen, Fragen zu stellen. Er würde immer wieder nachforschen: ›Wofür stehen die Buchstaben, Cassie?‹«
»Oh das. Keine Sorge. Wir spenden das Geld, das wir sammeln, unter S.E.C.R.E.T.S. offiziellem Namen, der auch in den Büchern steht: The Society for the Encouragement of Civic Responsibility and Equal Treatment – was so viel heißt wie Gesellschaft zur Ermutigung bürgerlicher Verantwortung und Gleichbehandlung. Siehst du? Zu so einer Gruppe kannst du doch sicher gehören, oder?« Sie drehte eines der Kontenbücher um, um mir offizielle Rec hnungen und Belege zu zeigen, auf denen dieser Name verzeichnet war. »Wir bezahlen unsere Steuern. Wir haben eine Hypothek. Wir sind gute Bürger. Und wenn jemand fragt, was genau wir machen, antworten wir, dass wir das Leben bedürftiger Frauen verbessern. Du kannst also beruhigt jemanden wie Will zu einer öffentlichen Veranstaltung wie dieser mitbringen. Wir nehmen unsere Anonymität sehr ernst. Natürlich müsstest du diese Sorge nicht haben, wenn du stattdessen Jesse mitbrächtest.«
»Das ist quasi eine Zusammenfassung der Zwickmühle, in der ich mich befinde.«
»Stimmt. Aber was für eine wundervolle Zwickmühle. Ich würde sie als Fortschritt bezeichnen«, sagte sie. »Du nicht auch?«
Doch, natürlich.
ZWANZIG
Cassie
Nach meinem Treffen mit Matilda war ich todmüde. Aber ich wusste, dass Dell wahrscheinlich auf dem Zahnfleisch ging, denn sie hatte Dienstschluss gestern Abend im Café, nur um es heute Morgen wieder zu öffnen. Statt also ins Bett zu gehen, duschte ich, zog mich um und ging zur Arbeit. Dabei machte ich einen Umweg, um nach Will zu sehen.
Sein Truck stand nicht vor seiner Wohnung und parkte auch nicht vor oder hinter dem Café. Er ging nicht ans Telefon. Ich nahm also an, dass er irgendwo hingefahren war, um einen klaren Kopf zu bekommen – oder um sich in Ruhe auszuweinen, länger, als er es bei mir hatte tun können.
Das Restaurant war leer. Claire kam aus der Küche gestürmt, auf dem Kopf ein kunstvoll drapiertes Haarnetz, das nur wenig dazu beitrug, ihre blonden Rastalocken zu verbergen. Ihre Hände waren voller Öl und Grünkohl. Ich mochte ihr offenes, argloses Gesicht. Die wenigen Wochen, die sie jetzt bei Will lebte, hatten ihre Verdrossenheit vertrieben und sie in einen ausgemacht schwatzhaften Teenager verwandelt. Auch Dell war sie ans Herz gewachsen, die ihr in null Komma nichts beibrachte, wie man die Lebensmittel richtig vorbereitete. Ich selbst hatte Monate gebraucht, um es zu lernen.
»Wo ist denn das Desinfektionsmittel? Dieses rosa Zeug, das Dell immer benutzt.«
»Ich zeige es dir«, antwortete ich. »Bist du allein?«
»Ja. Dell brauchte nach den Mittagsgästen nicht mehr bleiben und ist nach Hause gegangen.«
Für ihre siebzehn Jahre war sie ungewöhnlich reif, was in meinen Augen nicht
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