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Geteiltes Geheimnis

Geteiltes Geheimnis

Titel: Geteiltes Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L. Marie Adeline
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hängendem Kopf eine schmutzige Schmusedecke hinter sich hergezogen hätte, als er die Wöchnerinnenstation verließ, hätte es niemanden gewundert, so traurig war er. Tracina versuchte, ihn aufzuhalten und mit ihm zu reden. Selbst Carruthers bot an, mit ihm einen Spaziergang um den Block zu machen. Aber Will ging einfach weiter.
    Ich hätte ihn fast verpasst, als ich die Nachrichten auf meiner Mailbox per Fernabfrage über das öffentliche Telefon abhörte, weil der Akku meines Handys leer war.
    »Will! Warte!«, schrie ich und ließ einfach den Hörer baumeln. Ich war unsicher, was er mitbekam, obwohl seinem Gesicht sehr deutlich abzulesen war, welche Testergebnisse ihm gerade mitgeteilt worden waren. Ich rief seinen Namen drei-, viermal über den ganzen Parkplatz, bevor er schließlich stehen blieb und sich umwandte. Auch diesmal steckte der Schlüssel im Schloss seiner Autotür fest.
    »Willst du, dass ich fahre? Komm, ich bring dich nach Hause, Will«, sagte ich, beugte mich vor und berührte meine Knie mit den Händen, um wieder Atem zu schöpfen. Offiziell hatten wir schon Herbst, aber die Mittagssonne war heiß wie die Mittsommer-Hölle. Wir waren beide voll e vierundzwanzig Stunden im Krankenhaus gewesen.
    Will drehte sich langsam um, ließ die Schlüssel im Schloss baumeln. »Weißt du, was das Schlimmste ist?«, sagte er, wobei er mir nicht in die Augen sah, sondern die Luft nach Antworten absuchte. »Ich wollte noch nicht einmal Kinder. Ich glaube, das habe ich dir nie gesagt. Alle meine Freunde haben welche – mein Bruder, meine Cousins, alle –, aber ich dachte immer: Nein, davon gibt es auf dieser Welt schon viel zu viele. Und ich arbeite zu hart, un d ich verdiene einfach nicht genug Geld, um sie so aufwachsen zu lassen, wie es richtig wäre. Meinem Dad gehörte dieses Café. Er war nie zu Hause. Und er war immer pleite. Aber ich sage dir was«, fügte er hinzu und deutete auf das Krankenhaus. »Ich wollte dieses Baby. Ah … fuck.«
    Seine Gefühle überwältigten ihn, alle Gefühle, die er in den vergangenen neun Monaten angestaut hatte: die Zweifel und Ängste, als Vater für das Kind nicht gut genug zu sein, ein Kind, dessen Mutter er sich zu lieben bemühte, während er sein Café mithilfe risikoreicher Kredite und seinem eigenen Schweiß zu erweitern versuchte. All das kam jetzt heraus, und er weinte. Aber nicht lange.
    Ich nahm ihn in die Arme, atmete den Geruch des Krankenhauses in seinem Haar ein. Er erwiderte die Umarmung nicht. Stattdessen bedeckte er mit den farbbeschmierten Händen sein Gesicht. Als ich ihn losließ, zögerlich, trat er einen Schritt von mir zurück und schüttelte den Schmerz ab. Wenn man genau jetzt auf den leeren Parkplatz gefahren wäre (was Jesse Turnbull in diesem Augenblick tat), hätte man uns für zwei Bekannte halten können, die sich kurz miteinander unterhielten und sich dann verabschiedeten.
    Darum lehnte sich Jesse auch aus dem Fenster seines eigenen Trucks (natürlich neuer und besser als Wills) und rief: »Hey, Babe. Ich hab gedacht, ich bring dir auf dem Weg zur Arbeit einen Kaffee vorbei.«
    Er hätte nicht »Babe« gesagt, wenn er gewusst hätte, wen ich da umarmte, und was Will gerade durchgemacht hatte – was wir gerade durchgemacht hatten. So war er nicht. Er wollte nicht angeben, sein Revier verteidigen. Er war kein Mistkerl.
    Will war nur selten unhöflich. Aber in diesem Augenblick war er wahnsinnig dünnhäutig und verletzt. Deshalb ignorierte er Jesse, warf mir einen schmerzerfüllten Blick zu, zerrte die Schlüssel aus dem Schloss seines dummen, kaputten Trucks, rannte zur Beifahrerseite und stieg von dort aus in das verdammte Ding ein. Es war schrecklich und peinlich, ihn langsam aus der Parklücke neben uns hinaussetzen zu sehen, nur um dann mit quietschenden Bremsen vom Parkplatz zu fahren wie ein idiotischer, angeberischer Teenager, der seine Reifen auf dem Parkplatz eines Supermarkts testen will.
    »War das dein Chef?«, fragte Jesse und reichte mir den Kaffeebecher mit Sojamilch.
    Ich nickte.
    »Alles in Ordnung mit ihm?«
    »Soll ich ehrlich sein? Nein.«
    »Tut mir leid, das zu hören. Kann ich dich irgendwo absetzen?«
    »Nein. Das wäre ein ziemlicher Umweg. Und ich brauche noch einen längeren Spaziergang. Und dann ein ausgiebiges Nickerchen. Es war eine lange Nacht und ein anstrengender Morgen.«
    »Ist alles okay bei dir?«
    »Dem Baby geht es gut, der Mutter auch … dem Vater auch. Es ist Will, um den ich mir Sorgen

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