Getrieben - Durch ewige Nacht
war verdorben und schmeckte nach Asche.
Als Reef seinen Bericht beendet hatte, konnte Perry nicht länger umhin, das Geschehen auf der Mole anzusprechen. Roar wirbelte sein Messer in der Hand – was er immer tat, wenn er sich langweilte. Perry wusste, dass er in seiner Gegenwart alles sagen konnte, aber trotzdem musste er sich zwingen, die Worte hervorzupressen.
»Du hast mir das Leben gerettet, Reef. Ich stehe in deiner Schuld …«
»Du schuldest mir gar nichts«, unterbrach ihn Reef. »Ein Eid ist ein Eid. Das solltest du eigentlich wissen.«
Roar ließ das Messer wieder in die Scheide an seinem Gürtel gleiten. »Was soll das denn heißen?«
Doch Reef ignorierte ihn. »Du hast geschworen, die Tiden zu beschützen.«
Perry schüttelte den Kopf. Gehörte Old Will nicht zum Stamm? »Genau das habe ich auch getan.«
»Nein. Du hast dein Leben aufs Spiel gesetzt.«
»Hätte ich ihn ertrinken lassen sollen?«
»Ja«, erwiderte Reef scharf. »Oder es mir überlassen, ihn herauszuholen.«
»Aber das hast du nicht getan.«
»Weil es Selbstmord gewesen wäre! Du musst eines begreifen, Peregrine:
Dein
Leben ist mehr wert als das eines alten Mannes. Auch mehr als meines. Du kannst nicht einfach so ins Wasser springen.«
Roar lachte. »Offensichtlich kennst du ihn überhaupt nicht.«
Wütend wirbelte Reef herum und zeigte mit dem Finger auf Roar. »Und du solltest versuchen, mit ihm zu reden und ihn zur Vernunft zu bringen!«
»Ich warte lediglich darauf, dass du endlich einmal den Mund hältst«, konterte Roar.
Schnell trat Perry zwischen die beiden und schob Reef zurück. »Geh.« Die Wut in Reefs Gemütszustand schimmerte rot am Rand von Perrys Sichtfeld. »Mach einen Spaziergang. Beruhige dich.« Perry sah ihm nach, als er davonstapfte. Neben ihm fluchte Roar leise vor sich hin.
Wenn so etwas schon zwischen seinen beiden loyalsten Freunden passierte, was mochte dann erst unter den übrigen Tiden vor sich gehen?
Auf dem Rückweg zum Dorf entdeckte Perry Cinder am Waldrand. Der Junge wartete beim Pfad und fummelte an seiner Mütze herum.
Roar verdrehte die Augen, als er ihn sah. »Bis später, Per. Mir reicht’s für heute«, meinte er und trabte davon.
Cinder trampelte nervös auf dem Gras herum, als Perry zu ihm ging.
»Ich bin froh, dass du wieder da bist.«
»Wirklich?«, fragte Cinder bitter und ohne aufzublicken.
Darauf ging Perry nicht ein. Er verschränkte die Arme vor der Brust und stellte erfreut fest, dass seine Schulter sich besser anfühlte als am Morgen. »Ich hätte dich nicht anschreien sollen. Es wird nicht wieder vorkommen.«
Cinder zuckte die Achseln. Schließlich hob er den Kopf. »Ist deine Schulter …?«
»Alles in Ordnung«, bestätigte Perry.
Cinder nickte. »Ich wusste nicht, was passiert war, als ich mit dir sprechen wollte. Das Mädchen – Willow – hat es mir heute Morgen erst erzählt. Sie hatte fürchterliche Angst. Um sich selbst und um ihren Großvater. Und um dich.«
»Ich hatte auch Angst«, gestand Perry. Es schien ihm jetzt fast unglaublich, dass er keine vierundzwanzig Stunden zuvor beinahe ertrunken wäre. »War nicht gerade mein bester Tag. Aber ich bin ja noch da, also kann es auch nicht der schlimmste gewesen sein.«
Ein kurzes Lächeln huschte über Cinders Gesicht. »Stimmt.«
Als Cinders Stimmung sich schließlich beruhigt hatte, sah Perry seine Chance. »Also, was genau ist im Vorratsraum passiert?«
»Ich hatte einfach nur Hunger.«
»Mitten in der Nacht?«
»Ich esse nicht gern mit den anderen im Kochhaus. Ich kenne doch keinen.«
»Du hast den Winter mit Roar verbracht«, wandte Perry ein.
Cinder zog ein finsteres Gesicht. »Roar interessiert sich nur für dich und Aria.«
Und Liv
, dachte Perry. Es stimmte, dass Roar nur wenigen Menschen verbunden war, aber diese Treue schien unverbrüchlich. »Und deshalb hast du dich in den Vorratsraum geschlichen.«
Cinder nickte. »Da drin war es total dunkel und so still. Dann sah ich plötzlich diese Bestie mit den gelben Augen. Ich bekam solche Angst, dass ich die mitgebrachte Lampe fallen ließ, und dann breitete sich auch schon Feuer auf dem ganzen Boden aus. Ich hab noch versucht, es zu ersticken, aber dadurch wurde alles nur noch schlimmer, also bin ich weggerannt.«
Perry war beim ersten Teil der Geschichte hängen geblieben. »Du hast eine
Bestie
gesehen?«
»Na ja, das dachte ich jedenfalls. Aber es war nur der blöde Hund, Flea. Im Dunkeln sieht er aus wie ein Teufel.«
Perrys
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