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Getrieben - Durch ewige Nacht

Getrieben - Durch ewige Nacht

Titel: Getrieben - Durch ewige Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Rossi
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halbe Tätowierung für eine halbe Außenseiterin.« Ihre Worte sollten leicht und ironisch klingen, aber ihre Stimme zitterte.
    Roar betrachtete sie einen Augenblick schweigend. »Die Wunde wird verheilen, Aria. Und dann kann die Tätowierung vervollständigt werden.«
    Aria zog den Ärmel hinunter. »Nein … Ich war mir nicht einmal sicher, ob ich überhaupt tätowiert werden wollte.« Sie hatte keine Ahnung, wohin sie gehörte. Hierhin? Nach Reverie? Hess hatte sie im Herbst verbannt, und jetzt benutzte er sie. Die Tiden hatten gestern versucht, sie umzubringen. Sie passte nirgendwo richtig hin.
    Sie rückte näher ans Feuer, legte sich auf den Boden und zog sich die Decke enger um die Schultern. Schon den ganzen Tag hatte sie gefroren und unter Kälteschauern gelitten. Aber die Zeit arbeitete für sie, ermahnte sie sich. Das Gift würde aus ihrem Blut verschwinden, und ihre Haut würde heilen. Sie musste sich jetzt auf ihr Ziel konzentrieren: nach Norden ziehen und die Blaue Stille finden. Für Perry und Talon. Für sich selbst.
    Trotz ihrer Müdigkeit kreisten ihre Gedanken weiter um Perry und darum, wie warm und sicher sie sich noch an diesem Morgen in seinen Armen gefühlt hatte. Ob er heute Nacht auf dem Dach schlief? Dachte er an sie?
    Nach einer Stunde setzte sie sich auf und fand sich damit ab, dass sie nicht schlafen konnte. Roar hatte zwar die Augen geschlossen, aber sie wusste, dass auch er nicht schlief. Sein Gesichtsausdruck war zu angespannt.
    »Was ist los, Roar?«
    Er schlug die Augen auf und blinzelte sie müde an. »Perry ist wie ein Bruder für mich … und ich weiß genau, wie er sich gerade fühlt.«
    Aria atmete scharf ein, als ihr dämmerte, was er meinte: Als sie ohne eine Erklärung fortgegangen war, hatte sie Perry das Gleiche angetan, was Liv ihrerseits Roar angetan hatte.
    »Aber das hier ist was anderes … oder? Perry wird verstehen, dass ich gegangen bin, um ihn zu schützen – das wird er doch, oder? Du hast selbst gesehen, wie viele Leute meinetwegen den Stamm verlassen haben. Nichts von alldem wäre passiert, wenn ich gar nicht da gewesen wäre. Ich
musste
einfach gehen.«
    Roar nickte. »Trotzdem tut es weh.«
    Aria presste die Handballen auf die Augen und kämpfte gegen die Tränen an. Roar hatte recht. Wenn es um Kummer und Schmerz ging, spielten die Gründe keine Rolle. Langsam ließ sie die Hände sinken. »Ich habe das Richtige getan.« Sie wünschte nur, sie könnte sich selbst auch davon überzeugen.
    »Das hast du«, pflichtete Roar ihr bei. »Perry muss bei den Tiden bleiben. Er darf jetzt nicht fort. Der Stamm kann sich das nicht leisten.« Er seufzte und stützte den Kopf auf den Arm. »Und du bist hier draußen zusammen mit mir sicherer. Ich möchte nicht noch einmal mit ansehen müssen, wie du beinahe stirbst.«

    Als Roar Aria in der Morgendämmerung eines neuen Tages weckte, an dem sie wieder viele Stunden laufen würden, hatte es aufgehört zu regnen. Nach dem Sturm hatte der Äther ihnen eine kurze Verschnaufpause gegönnt, aber jetzt sah sie bereits wieder dicke Ströme hinter einer grauen Wolkenwand dahinfließen. Das blaue Licht, das durch die Wolken drang, ließ alles wie unter Wasser erscheinen.
    »Wir behalten das im Auge«, sagte Roar neben ihr, als er zum Himmel hinaufschaute. Ihr Weg führte über weite, offene Flächen. Wenn ein neuer Sturm aufzog, mussten sie rasch irgendwo Schutz suchen.
    Abgesehen von den Schmerzen in ihrem Arm hatte Aria sich wieder erholt. Schon bald würden sie Perrys Stammesgebiet hinter sich lassen, und sie musste wachsam und gegen Gefahren gewappnet sein. Jeder Schritt brachte sie näher an die Stadt Rim und zu dem, was sie benötigte.
    Am späten Nachmittag stand sie am Rand eines Tals und blickte nach Süden zu den welligen Hügelketten, die sich bis zum Horizont erstreckten. Im letzten Herbst hatte sie irgendwo da draußen mit Perry kampiert. Sie hatte Bucheinbände als Schuhe getragen. Hatte ihre beste Freundin verloren. Und sie hatte ihre Mutter verloren, auch wenn sie das damals noch nicht gewusst hatte.
    Aria griff in ihren Umhängebeutel und holte den kleinen, geschnitzten Falken hervor. Sie hatte ihn mitgenommen, als sie aus Perrys Haus gestürmt war, denn sie brauchte etwas Greifbares, das sie an ihn erinnerte.
    »Ich war dabei, als er ihn geschnitzt hat«, bemerkte Roar. Er saß gegen einen Baumstamm gelehnt und schaute sie mit geröteten Augen an.
    »Wirklich?«
    Roar nickte. »Talon und Liv waren auch da. Wir

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