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Getrieben - Durch ewige Nacht

Getrieben - Durch ewige Nacht

Titel: Getrieben - Durch ewige Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Rossi
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er die Gräben für Bear reinigte und die Verteidigungsmaßnahmen der Tiden überprüfte. Reef arbeitete immer an seiner Seite, so nah wie sein Schatten. Wenn Reef nicht da war, übernahm einer der Sechs seinen Platz. Sie ließen ihn keine Sekunde allein. Sogar Cinder schien mit von der Partie zu sein, denn er folgte Perry, wenn er sich absetzen wollte, um ein paar Minuten allein zu sein.
    Perry wusste nicht, was sie von ihm erwarteten. Der anfängliche Schock hatte sich gelegt, und jetzt sahen sie die Situation nüchtern, so wie sie war. Roar und Aria waren fort; sie würden die Hörner aufsuchen, um Liv und die Blaue Stille zu finden. Bestimmt würden sie bald zurückkehren, und das war auch schon alles. Es musste so sein. Er verbot sich, weiter als bis zu diesem Moment zu denken.

    An diesem Abend gab es erst spät Essen – drei der Köche der Tiden hatten sich Wylans Gruppe angeschlossen –, und das Kochhaus wirkte seltsam leer und still. Perry hatte keinen Hunger, aber er aß, weil der Stamm ihn beobachtete. Weil er ihnen deutlich machen musste, dass die Dinge sich zwar geändert haben mochten, dass es aber trotzdem ein Morgen gab.
    Reef begleitete ihn, als er das Kochhaus verließ und den westlichen Wachposten ansteuerte. Als sie nebeneinanderher gingen, spürte Perry, dass Reef seinen Mut zusammennahm, um ihm etwas zu sagen. Die Hände zu Fäusten geballt, wartete er darauf, dass Reef ihn ermahnte, er brauche mehr Schlaf, oder mehr Geduld, oder beides.
    »Schreckliches Abendessen«, meinte Reef schließlich.
    Perry atmete aus, und die Spannung wich aus seinen Fingern. »Hätte besser sein können.«
    Reef schaute hinauf zum Himmel. »Spürst du es?«
    Perry nickte. Das Brennen tief in seiner Nase warnte ihn, dass der nächste Sturm nicht lange auf sich warten lassen würde. »Im Moment fast ständig.«
    Der Äther strömte in brodelnden Bündeln und verlieh der Nacht einen blauen, geäderten Schimmer. Nach dem Sturm war der Himmel nur einen Tag lang ruhig gewesen. Doch inzwischen bestand kaum noch ein Unterschied zwischen Tag und Nacht. Die Tage wurden von Wolken und dem blauen Schein des Äthers verdunkelt, die Nächte von ihm erhellt. Sie gingen nahtlos ineinander über, und die Ränder verschwammen zum endlosen Tag, zur ewigen Nacht.
    Perry wandte sich Reef zu. »Wir müssen eine Botschaft senden.«
    Reef hob die Augenbrauen. »An wen?«
    »An Marron.« Eigentlich wollte Perry ihn nicht schon wieder um einen Gefallen bitten – erst vor wenigen Monaten hatte er seine Hilfe in Anspruch genommen, als er zusammen mit Roar und Aria in Delphi Zuflucht gesucht hatte. Aber die Tiden befanden sich in einer haltlosen Lage. Er brauchte dringend Lebensmittel und Leute. Und ehe er zuließ, dass sein Stamm verhungerte oder das Dorf bei einem Angriff überrannt wurde, würde er sich Hilfe holen.
    Reef war einverstanden. »Das ist eine gute Idee. Ich werde Gren sofort morgen früh losschicken.«
    Als Perry und Reef den Wachposten am Rand eines erhöhten Felsvorsprungs erreicht hatten, um Twig und Gren abzulösen, blieben die beiden noch kurz bei ihnen. Zu viert hielten sie in einvernehmlichem Schweigen Wache, während ein feiner Nieselregen niederging.
    Kurz darauf kamen auch Hyde und Hayden, gefolgt von Straggler, obwohl alle drei Freiwache hatten. Perry hatte Hyde während des Abendessens ein Dutzend Mal gähnen sehen. Schweigend verteilten sie sich über den Aussichtspunkt und schauten in die Nacht, während die Regentropfen immer dicker wurden. Keiner sagte etwas, keiner ging.
    »Ruhige Nacht«, meinte Twig schließlich. »Ich meine,
wir
sind ruhig. Nicht der Regen.« Seine Stimme klang rau und heiser nach dem langen Schweigen.
    »Hast du einen Frosch verschluckt, Twig?«, fragte Hayden.
    »Vielleicht waren ja in der Suppe heute Abend Frösche«, überlegte Gren.
    Hyde grunzte. »Frösche schmecken besser als diese Kutteln.«
    Twig räusperte sich. »Ich hätte tatsächlich fast einmal einen lebenden Frosch verschluckt.«
    »Twig, du siehst aus wie ein Frosch. Du hast Froschaugen.«
    »Zeig uns, wie hoch du springen kannst, Twig.«
    »Haltet die Klappe, und lasst ihn seine Geschichte raushusten.«
    Die Geschichte an sich war nichts Besonderes. Als Junge hatte Twig bei einer Mutprobe einen Frosch küssen wollen, als das Tier ihm durch die Finger geschlüpft und in den Mund gesprungen war. Doch mit dem Erzählen der Geschichte tat Twig sich keinen Gefallen. Mit dreiundzwanzig hatte er noch nie ein Mädchen geküsst.

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