Gevatter Tod
aufwies.
Der Junge zog sich an, und seine Gedanken rasten.
Er öffnete die Tür aus massivem Eichenholz und war ein wenig enttäuscht, als das erwartete dumpfe Knarren ausblieb.
Draußen erstreckte sich ein langer leerer Plankenflur, und an der gegenüberliegenden Wand brannten große gelbe Kerzen in verschnörkelten Haltern. Mort verließ das Zimmer und schlich durch den Korridor, bis er eine Treppe erreichte. Er stieg die Stufen hinab, ohne daß irgend etwas Schreckliches geschah, und kurz darauf stand er in einer Art Eingangshalle mit vielen Türen. Überall hingen schwarze Vorhänge, und auf der einen Seite bemerkte Mort eine große Standuhr. Ihr Ticken klang wie der Herzschlag eines Berges.
Daneben sah er einen Schirmständer.
Eine Sense ruhte darin.
Mort richtete seine Aufmerksamkeit auf die Türen. Sie wirkten bedeutungsvoll, und die geschwungenen Rahmen zeigten das bereits vertraute Knochenmotiv. Als er sich einem Zugang näherte, erklang eine Stimme hinter ihm.
»Den Raum solltest du besser nicht betreten, Junge.«
Es dauerte einige Sekunden, bis er begriff, daß die Stimme nicht etwa hinter seiner Stirn erklang. Er hörte echte menschliche Worte, die von einem Mund formuliert und den Ohren mit Hilfe eines geeigneten Luftkompressionssystems mitgeteilt wurden, so wie es die Natur beabsichtigt hatte. Nun, die Natur gab sich große Mühe für nur acht Worte, die eine gewisse Verdrießlichkeit zum Ausdruck brachten.
Mort drehte sich um, und sein Blick fiel auf ein Mädchen, das ebenso groß war wie er selbst und einige Jahre älter sein mochte. Er beobachtete silbernes Haar und Augen mit einem perlmuttartigen Glanz. Die Unbekannte trug ein langes und ebenso interessantes wie unpraktisches Kleid – genau jene Art von Gewand, in das sich tragische Heldinnen hüllen, während sie eine einzelne Rose an die Brust pressen und voller Sehnsucht zum Mond emporblicken. Mort hatte nie den Ausdruck ›präraffaelitisch‹ gehört, und daher mußten seine gedanklichen Beschreibungsversuche zwangsläufig scheitern. Wie dem auch sei: Derartige junge Frauen neigten zu ätherischer Durchsichtigkeit und zu metaphorischer Schwindsucht, während dieses besondere Mädchen eher den Eindruck erweckte, als gehöre Schokolade zu seinen Lieblingsspeisen.
Es kippte den Kopf zur Seite, starrte Mort an und klopfte verärgert mit dem Fuß auf den Boden. Dann streckte es plötzlich die Hand aus und zwickte ihn in den Arm.
»Autsch!«
»Hm, du bist also wirklich echt«, stellte die Namenlose klug fest. »Wie heißt du, Junge?«
»Mortimer. Man nennt mich Mort.« Er rieb sich den rechten Ellbogen. »Warum hast du das getan?«
»Ich nenne dich Junge«, sagte das Mädchen. »Ich habe es nicht nötig, dir mein Verhalten zu erklären, aber wenn du's unbedingt wissen willst: Ich dachte, du seist tot. Du siehst tot aus.«
Mort gab keine Antwort.
»Hat es dir die Sprache verschlagen?«
Mort zählte stumm bis zehn.
»Ich bin nicht tot«, erwiderte er schließlich. »Glaube ich wenigstens. Manchmal fällt es mir schwer, ganz sicher zu sein. Wer bist du?«
»Für dich bin ich Fräulein Ysabell«, erklärte das Mädchen hochmütig. »Vater meint, du brauchst etwas zu essen. Komm mit!«
Ysabell stolzierte fort und wandte sich einer anderen Tür zu. Mort folgte ihr in genau der richtigen Entfernung, um mit dem linken Ellbogen an die zurückschwingende Pforte zu stoßen.
Er fand sich in einer Küche wieder, einem langen niedrigen und warmen Zimmer, von dessen Decke Kupfertöpfe herabhingen. Ein großer Herd aus schwarzem Eisen beanspruchte eine ganze Wand. Davor stand ein alter Mann und summte leise vor sich hin, während er Eier und Schinken briet.
Der Duft übermittelte Morts Geschmacksknospen eine eindeutige Botschaft: Wenn sie sich zusammenrissen und von ihrer Überraschung erholten, mochte sie vielleicht eine angenehme Überraschung erwarten. Der Junge setzte sich in Bewegung, ohne daß die Beine Befehle vom Gehirn empfingen.
»Albert«, sagte Ysabell scharf. »Noch jemand zum Frühstück.«
Der Mann drehte langsam den Kopf und nickte wortlos. Das Mädchen richtete den Blick auf Mort.
»Seltsam«, meinte es, »meinem Vater stand die Bevölkerung der ganzen Scheibenwelt zur Auswahl, und trotzdem entschied er sich ausgerechnet für dich. Nun, ich schätze, es hätte schlimmer kommen können.«
Ysabell rauschte aus dem Zimmer und warf die Tür zu.
»Schlimmer?« wiederholte Mort mehr zu sich selbst.
Es war still im Zimmer –
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