Gevatter Tod
formulieren.
Das dritte Mitglied des Trios war nicht ganz so helle wie seine Kumpanen. »He, er ist einfach durch die Wand gegangen!«
»Und wir ham ihn schon seit einer halben Ewigkeit verfolgt, jawohl«, fügte der zweite Halunke hinzu. »Wirklich 'n toller Plan, Armertropf. Ich habe doch gesacht, daß er ein Zauberer is. Nur Zauberer sin hier allein unterwechs. Habe ich nich gesacht, daß er wie ein Zauberer aussieht? Ich sachte…«
»Du sachst eindeutig zuviel«, knurrte der Anführer.
»Ich hab gesehen, wie er direkt durch die Wand gegangen ist…«
»Ach, tatsächlich?«
»Ja!«
»Direkt durch die Wand, habta das nicht gesehen?«
»Du hältst dich wohl für ziemlich klug, was? Glaubst wohl, dein Verstand sei messerscharf, wie?«
»Zumindest schärfer als deiner, ha!«
Der Anführer bückte sich und griff mit einer fließenden Bewegung nach seinem Dolch.
»Auch schärfer als diese Klinge hier?«
Der dritte Dieb schlurfte an die Wand heran und beklopfte sie, während hinter ihm so bedeutungsvolle Worte erklangen wie »Argh!« und »Grgh!«, kurz darauf gefolgt von dumpfem Stöhnen und Ächzen.
»Tja, mit der Mauer ist alles in Ordnung«, sagte der letzte Räuber. »Völlig normaler Stein, soweit sich das feststellen läßt. Was meint ihr dazu, Jungs?«
»Jungs?«
Er stolperte über zwei Leichen.
»Oh«, murmelte er. Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß dieser Schurke bei einem Intelligenzwettbewerb nicht einmal den Trostpreis erhalten hätte, aber sein geistiges Getriebe arbeitete gut genug, um ihm eine wichtige Erkenntnis zu ermöglichen: Er befand sich in einer schmalen düsteren Gasse, die zum Stadtviertel Schatten gehörte – und er war allein.
Er stürmte davon, und er kam ziemlich weit.
Tod wanderte langsam durch das Zimmer mit den Lebensuhren, und sein starrer Blick glitt über die vielen kleinen gläsernen Behälter. Eifriger Sand rieselte in ihnen. Albert folgte ihm pflichtbewußt und trug das große Hauptbuch.
Das Tosen der Zeit umgab sie. Es bedeutete Zukunft und Vergangenheit, nur einen Hauch Gegenwart.
Das Geräusch stammte von den langen Regalen, die sich bis in weite Ferne erstreckten. Hunderte, Tausende, Millionen und Milliarden Lebensuhren ruhten darauf, enthielten den feinen Staub sterblichen Lebens. Es war ein düsteres, unheilvolles Geräusch, die akustische Entsprechung von dicker träger Vanillesoße, die auf den Pfannkuchen der Seele tröpfelte.
NUN GUT, sagte Tod. ES SIND NUR DREI. EINE RUHIGE NACHT.
»Heute sind folgende Personen dran«, verkündete Albert. »Mütterchen Kniesehne, Abt Lobgesang – schon wieder – und Prinzessin Keli.«
Tod betrachtete die drei entsprechenden Sanduhren.
ICH HABE MIR ÜBERLEGT, OB ICH DEN JUNGEN SCHICKEN SOLL, sagte er.
Albert schlug im Hauptbuch nach.
»Nun, Mütterchen Kniesehne dürfte keine Probleme bereiten, und der Abt hatte bereits Gelegenheit, einschlägige Erfahrungen zu sammeln«, erwiderte er. »Die Prinzessin hingen… Schade. Sie ist erst fünfzehn. Wir sollten mit Schwierigkeiten rechnen.«
JA, WIRKLICH BEDAUERNSWERT.
»Herr?«
Tod griff nach dem dritten Glas und beobachtete nachdenklich, wie sich der Fackelschein auf dem Glas widerspiegelte. Er seufzte.
SO JUNG…
»Stimmt was nicht, Herr?« fragte Albert besorgt.
DIE ZEIT IST WIE EIN BREITER STROM, DER AN DEN GESTADEN DES SCHICKSALS VORBEIFLIESST, SEHNSÜCHTE UND HOFFNUNGEN FORTTRÄGT…
»Herr!«
WAS? Tod erwachte aus seinen Grübeleien.
»Du hast zu lange und zu hart gearbeitet, Herr. Es ist der Streß…«
WOVON SCHWATZT DU DA, MANN?
»Deine Bemerkungen von vorhin… Sie klangen ziemlich seltsam. Vielleicht fühlst du dich nicht gut, Herr.«
UNSINN. MIR IST ES NIE BESSER GEGANGEN. NUN, WORÜBER SPRACHEN WIR GERADE?
Albert hob die Schultern und blickte wieder ins Buch.
»Mütterchen Kniesehne ist Hexe«, sagte er. »Es könnte sie verärgern, wenn du Mort schickst.«
Wer sich auf den Umgang mit Magie verstand, hatte nach seinem Ableben das Recht, von Tod höchstpersönlich und nicht etwa einem seiner Gesandten ins Jenseits geleitet zu werden.
Tod überhörte Alberts Einwand und starrte weiterhin auf Prinzessin Kelis Lebensuhr.
WIE BEZEICHNET MAN JENES GEFÜHL, DAS SICH ALS WEHMÜTIGES BEDAUERN UMSCHREIBEN LÄSST UND GEWISSEN DINGEN GILT, DIE MAN LEIDER NICHT ÄNDERN KANN?
»Trauer, Herr. Glaube ich. Und nun…«
ICH BIN TRAUER.
Alberts Kinnlade klappte herunter. Schließlich faßte er sich lange genug, um hervorzustoßen: »Herr,
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