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Gevatter Tod

Gevatter Tod

Titel: Gevatter Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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Brieföffner hin und her.
    »Einen freien Nachmittag«, wiederholte Mort. Das Zimmer erschien ihm plötzlich riesig, und er konnte sich kaum des unangenehmen Eindrucks erwehren, mitten auf einem fußballfeldgroßen Teppich zu stehen.
    WARUM? fragte Tod. BESTIMMT GEHT ES DIR DABEI NICHT UM DIE BEERDIGUNG DEINER GROSSMUTTER, fügte er hinzu. DARÜBER WÜSSTE ICH BESCHEID.
    »Nun, Herr, ich, äh, ich möchte nur ein bißchen unter Leuten sein«, sagte Mort und versuchte, dem Blick der blauglühenden Augenhöhlen standzuhalten.
    TAG FÜR TAG BEGEGNEST DU IRGENDWELCHEN MENSCHEN, wandte Tod ein.
    »Ja, schon, aber eben nicht besonders lange«, erwiderte Mort. »Ich meine, ich würde gern mit jemandem reden, dessen Lebenserwartung sich nicht nur auf einige wenige Minuten beschränkt. Herr.«
    Tod trommelte mit beinernen Fingern auf den Schreibtisch, und es klang, als versuche sich eine Maus im Steptanz. Einige Sekunden lang bedachte er seinen Lehrling mit durchdringendem Blick. Ihm fiel auf, daß der Junge nicht mehr so ungelenk wirkte und mehrere Knie und Ellebogen verloren zu haben schien. Er stand aufrechter und erweckte sogar den Eindruck, so schwierige Ausdrücke wie ›Expektanz‹ und ›reziproker Respekt‹ zu kennen. Was nur an der Bibliothek liegen konnte.
    NA SCHÖN, sagte Tod widerstrebend. OBWOHL ICH GLAUBE, DASS DU HIER ALLES HAST, WAS DU BRAUCHST. DIE PFLICHT IST DOCH NICHT ZU BESCHWERLICH FÜR DICH, ODER?
    »Nein, Herr.«
    DU BEKOMMST GUT ZU ESSEN, HAST EIN WARMES BETT, GENUG FREIZEIT UND UMGANG MIT ALTERSGENOSSEN.
    »Ich bitte um Verzeihung, Herr…«
    MEINE TOCHTER, erklärte Tod. ICH GLAUBE, DU BIST IHR BEREITS BEGEGNET, ODER?
    »Oh. Ja, Herr.«
    WENN MAN SIE BESSER KENNENLERNT… SIE HAT EIN WARMES HERZ UND EINEN GUTEN CHARAKTER.
    »Daran, äh, zweifle ich nicht, Herr.«
    TROTZDEM MÖCHTEST DU EINEN – FREIEN NACHMITTAG? Tod sprach die letzten Worte mit unüberhörbarem Abscheu aus.
    »Ja, Herr. Wenn du nichts dagegen hast, Herr.«
    NUN GUT. SO SEI ES. ICH ERWARTE DICH ZURÜCK, WENN DIE SONNE UNTERGEHT.
    Der Knochenmann öffnete sein großes Hauptbuch, griff nach einem Stift und begann zu schreiben. Ab und zu streckte er die Hand aus und bewegte die kleinen Kugeln eines Abakus.
    Nach einer Weile sah er auf.
    DU BIST NOCH IMMER HIER, stellte er fest. OBGLEICH DEINE ARBEITSZEIT GERADE ZU ENDE GEGANGEN IST, fügte er ein wenig verdrießlich hinzu.
    »Äh«, machte Mort, »können mich die Menschen in ihrer Welt sehen, Herr?«
    ICH GLAUBE SCHON, sagte Tod. ICH BIN SOGAR ZIEMLICH SICHER. KANN ICH DIR SONST NOCH IRGENDWIE BEHILFLICH SEIN, BEVOR DU AUFBRICHST UND MIT DEINEN AUSSCHWEIFUNGEN BEGINNST?
    »Nun, Herr, da wäre tatsächlich eine Sache«, entgegnete Mort mit wachsender Verzweiflung. »Ich weiß leider nicht, wie man von hier aus in die Welt der Sterblichen gelangt.«
    Tod seufzte laut und zog eine Schublade auf.
    GEH EINFACH DORTHIN.
    Mort nickte kummervoll und wanderte zur Tür des Büros. Sie schien meilenweit entfernt zu sein. Als er die lange Wanderung beendete und den Knauf drehte, hüstelte Tod.
    JUNGE! rief er und warf seinem Lehrling etwas zu.
    Aus einem Reflex heraus fing Mort den Gegenstand auf, und gleichzeitig öffnete sich die Pforte.
    Rahmen und Schwelle verflüchtigten sich einfach, und aus dem dicken Teppich wurde ein schmutziges Kopfsteinpflaster. Helles Tageslicht strömte wie Quecksilber auf ihn herab.
    »Mort«, stellte sich Mort dem Kosmos vor.
    »Wie bitte?« fragte ein Händler, der dicht neben ihm stand. Mort drehte den Kopf und sah einen weiten Marktplatz, auf dem ein dichtes Gedränge aus Menschen und Tieren herrschte. In dem allgemeinen Durcheinander wurde praktisch alles verkauft: von schlichten Nadeln bis hin zu erhabenen Heilsvisionen, die von einigen Wanderpredigern angeboten wurden. Es war unmöglich, ein Gespräch zu führen, das auf Schreie verzichtete.
    Mort klopfte dem Händler auf den Rücken.
    »Kannst du mich sehen?« fragte er.
    Der Mann musterte ihn kritisch.
    »Ich denke schon«, erwiderte er nach einer Weile. »Zumindest erkenne ich jemanden, der dir sehr ähnlich sieht.«
    »Danke«, sagte Mort erleichtert.
    »Schon gut. Ich sehe ziemlich viele Leute, tagaus, tagein – ohne dafür irgendwelche Gebühren zu berechnen. Bist du an Schnürsenkeln interessiert?«
    »Eigentlich nicht«, sagte Mort. »Wie heißt dieser Ort?«
    »Das weißt du nicht?«
    Einige Männer und Frauen am nächsten Stand wandten sich um und beobachteten Mort nachdenklich. Sein Verstand

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