Gevatter Tod
wir sprachen über Mort!«
MORT?
»Damit ist dein Lehrling gemeint, Herr«, erklärte Albert geduldig. »Ein hochgewachsener und recht schlaksiger junger Mann mit vielen Ellbogen und Knien, von denen er inzwischen ein paar verloren hat.«
OH. JA. NUN, WIR SCHICKEN IHN.
»Ist er wirklich fähig, allein die PFLICHT zu erfüllen?« fragte Albert skeptisch.
Tod dachte kurz nach. JA, ICH GLAUBE SCHON, antwortete er schließlich. ER IST SCHARFSINNIG UND LERNT SCHNELL. Nach kurzem Zögern fügte er hinzu: AUSSERDEM KÖNNEN DIE STERBLICHEN WOHL KAUM VON MIR ERWARTEN, DASS ICH MICH DAUERND UM SIE KÜMMERE.
Mort starrte verwirrt auf den schwarzen Samt dicht vor seinen Augen.
Ich bin durch eine Wand gegangen, dachte er. Und das ist unmöglich.
Behutsam strich er den Vorhang beiseite, um festzustellen, ob sich irgendwo eine Tür verbarg. Aber sein Blick fiel nur auf abbröckelnden Putz, der an einigen Stellen zwar feuchtes, doch nichtsdestotrotz massives Mauerwerk offenbarte.
Er betastete es versuchsweise. Und kam zu dem Schluß, daß er einen anderen Ausgang suchen mußte.
»Tja«, sagte er zur Wand. »Was jetzt?«
Hinter ihm erklang eine Stimme. »Äh«, sagte Stimme. »Entschuldige bitte…«
Mort drehte sich langsam um.
An dem Tisch in der Mitte des Zimmers saß eine klatschianische Familie, die aus Vater, Mutter und sechs Kindern bestand, deren Köpfe auf der einen Seite wie die Stufen einer Treppe aufragten. Acht Blicke richteten sich auf Mort. Das neunte Augenpaar gehörte einem greisen Menschen von unbestimmbarem Geschlecht und schenkte dem Neuankömmling nicht die geringste Beachtung. Sein Eigentümer nutzte die Gelegenheit, um an der großen Reisschale ein wenig Ellbogenfreiheit zu gewinnen. Das uralte Neutrum vertrat die durchaus verständliche Ansicht, leckerer gekochter Fisch in der einen Hand sei gleich mehrere unerklärliche Manifestationen wert, und in der plötzlich entstandenen Stille ertönte ein genüßliches Schmatzen.
In der einen Ecke des kleinen Raums stand ein niedriger Schrein, der Offler geweiht war, dem sechsarmigen Krokodilgott von Klatsch. Der Götze grinste wie Tod. Allerdings gab es einen Unterschied: Tod hatte keinen Schwarm Heiliger Vögel, die Nachrichten von seinen Jüngern brachten und ihm außerdem die Zähne reinigten.
Klatschianer achten die Gastfreundschaft mehr als alle anderen Tugenden. Während Mort sprachlos starrte, stand die Frau auf, holte einen zusätzlichen Teller und füllte ihn aus der großen Schale. Nach einem kurzen stummen Kampf rang sie dem geschlechtslosen Greis einige Welsstücke ab und fügte sie dem Reis hinzu.
Der Blick ihrer schwarzumrandeten Augen blieb die ganze Zeit über auf den so plötzlich erschienenen Besucher gerichtet.
Mort begriff, daß die Worte, die er eben gehört hatte, vom Vater stammten. Er verbeugte sich nervös.
»Tut mir leid«, sagte er. »Äh, allem Anschein nach bin ich durch diese Wand hier gegangen.« Es klang recht seltsam, selbst in seinen eigenen Ohren.
»Bitte?« erwiderte der Mann. Die Armreifen der Frau klirrten leise, als sie einige Paprikastreifen zu einem kunstvollen Muster auf dem Teller anordnete und eine grüne Soße hinzugab, die unangenehme Erinnerungen in Mort weckte. Er hatte sie vor einigen Wochen probiert: Zwar war sie das Ergebnis eines außerordentlich komplizierten Rezepts, doch bestimmte Geschmacksaspekte deuteten viel zu deutlich darauf hin, daß die Hauptingredienzien aus Fischeingeweiden bestanden, die mehrere Jahre lang in Haigalle gärten. Tod meinte, es sei eine Delikatesse, und Mort schloß daraus, daß er sich nicht zum Gourmet eignete.
Er schob sich vorsichtig an der Wand entlang und hielt auf die Tür mit dem langen Perlenschnur-Vorhang zu. Die Köpfe der Beobachter drehten sich langsam.
Mort rang sich ein verlegenes Lächeln ab.
Die Frau fragte: »Warum zeigt der Dämon seine Zähne, Licht meines Lebens?«
Der Mann erwiderte: »Vielleicht hat er Hunger, Mond meiner Sehnsucht. Hol noch mehr Fisch für ihn!«
Und das uralte Neutrum kommentierte: »Den wollte ich essen, verflixter Bengel. Ach, wehe der Welt, wenn das Alter nicht mehr respektiert wird!«
Das Klatschianische zeichnet sich durch all die akustischen Schnörkel und zungenakrobatischen Kunststücke einer uralten und gereiften Sprache aus, in der es bereits fünfzehn verschiedene Worte für den Begriff ›Mord‹ gab, bevor die übrigen Bewohner der Welt herausfanden, was man mit einem ordentlichen Knüppel anrichten kann.
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