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Gevatter Tod

Gevatter Tod

Titel: Gevatter Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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schaltete einen Gang herunter und gab Gas.
    »Mein Herr ist viel unterwegs«, fügte er wahrheitsgemäß hinzu. »Wir sind gestern abend eingetroffen, und ich schlief im Karren. Heute habe ich den Nachmittag frei.«
    »Aha«, machte der Händler, beugte sich vor und zwinkerte verschwörerisch. »Du möchtest dich vergnügen, nicht wahr? Nun, ich könnte etwas für dich arrangieren.«
    »Oh, ich wäre bereits damit zufrieden zu wissen, wo ich bin«, sagte Mort.
    Der Mann starrte ihn groß an.
    »Dies ist Ankh-Morpork. Das sieht man doch auf den ersten Blick. Und man riecht es sofort.«
    Mort schnupperte. Die Luft in der Stadt hatte ein besonderes Flair – es handelte sich um jene Art von Luft, die den Eindruck vermittelte, daß sie gut um Bedeutung und Konsequenzen des Lebens Bescheid wußte. Jeder einzelne Atemzug erinnerte daran, daß Tausende von anderen Personen in der Nähe weilten. Und die meisten von ihnen besaßen Achseln.
    Der Händler musterte Mort argwöhnisch, bemerkte das blasse Gesicht, die gute Kleidung – und eine seltsame Aura, eine Art Sprungfedereffekt.
    »Nun, ich will ganz offen sein«, sagte er. »Ich bin bereit, dir den Weg zum nächsten Bordell zu zeigen.«
    »Ich habe bereits gegessen«, erwiderte Mort und hoffte, daß er damit die richtige Antwort gab. »Ich möchte dich nur um eine Auskunft bitten: Sind wir hier in der Nähe von Sto Lat?«
    »Die Entfernung beträgt rund zwanzig Meilen. In Richtung Mitte.« Der Händler befeuchtete sich die Lippen und fügte hastig hinzu: »Aber dort gibt es nichts, was einen jungen Mann von deinem Schlage interessieren könnte. Du möchtest bestimmt deine Freiheit genießen, nicht wahr? O ja, ich weiß: Dir steht der Sinn nach neuen Erfahrungen, nach Aufregung und Romantik…«
    Mort hatte unterdessen den Beutel geöffnet, der von Tod stammte. Er enthielt Goldmünzen in der Größe von Zechinen.
    Vor seinem inneren Auge formte sich ein Bild. Er sah ein blasses schmales Gesicht, umrahmt von rotem Haar, ein Mädchen, das aus irgendeinem Grund seine Gegenwart gespürt hatte. Die undeutlichen Gefühle, die Morts Denken und Empfinden schon seit Tagen heimsuchten, zwangen eine plötzliche Entscheidung herbei.
    »Ich brauche ein sehr schnelles Pferd«, sagte er.
     
    Fünf Minuten später hatte sich Mort verirrt.
    Er befand sich nun in einem Stadtviertel, das man ›Schatten‹ nannte, einem Bereich, der dringend Hilfe von der Regierung brauchte, zum Beispiel einen amtlichen Flammenwerfer. Man konnte ihn nicht als verwahrlost und schmutzig bezeichnen, denn solche Worte wurden den Schatten nicht annähernd gerecht. Sie stellten vielmehr einen gestaltgewordenen, greifbaren Superlativ von Erbärmlichkeit, Elend und Niedertracht dar. Offenbar wirkte sich ein sehr spezielles Einsteinsches Paradoxon aus, das in diesen Straßen und Gassen so etwas wie herrlichen Schrecken und ekstatisches Entsetzen schufen. Was das allgemeine Klima betraf: Es herrschte ein überaus stabiles Hochdruckgebiet aus Lärm, porenaktiver Schwüle und nasenfreundlichem Kuhstallduft.
    In den Schatten gab es nicht das, was man Nachbarschaft nennt; statt dessen sollte man besser von einer regelrechten Ökologie sprechen. Der Vergleich mit einem riesigen, auf festem Land gewachsenen Korallenriff erscheint angemessen: Es bot Lebensraum für Hummer, Tintenfische und Garnelen.
    Und auch für Haie.
    Mort wanderte hilflos durch das Labyrinth aus schmalen Passagen und kurvenreichen Durchgängen. Beobachter in Dachhöhe hätten sicher ein gewisses Bewegungsmuster in der Menge hinter ihm erkannt, eine Art Kielwelle aus Männern, die sich langsam ihrem Opfer näherten. Sie wären sicher zu dem Schluß gelangt, daß Mort und sein Gold ungefähr die gleiche Lebenserwartung hatten wie ein dreibeiniger Igel mitten auf einer sechsspurigen Autobahn.
    Inzwischen dürfte bereits klargeworden sein, daß es in den Schatten keine Bürger gab, sondern nur Bewohner. In unregelmäßigen Abständen wandte sich Mort an jemanden und fragte nach einem vertrauenswürdigen Pferdehändler. Für gewöhnlich brummte der betreffende Bewohner etwas Unverständliches und eilte fort. Aus gutem Grund: Wer beabsichtigte, in den Schatten länger als drei oder vier Stunden zu überleben, entwickelte zusätzliche Sinne und ging Mort mit der gleichen Aufmerksamkeit aus dem Weg, mit dem ein Bauer während eines Gewitters hohe Bäume meidet.
    Schließlich erreichte Tods Lehrling den Strom Ankh, den größten und erhabensten aller Flüsse.

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