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Gevatter Tod

Gevatter Tod

Titel: Gevatter Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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schloß beide Hände um den Griff der Sense und schlug zu.
    Ammelin Kniesehne stand auf und ließ den Körper zurück.
    »Gut gemacht«, lobte sie. »Ich dachte schon, du hättest den richtigen Zeitpunkt verpaßt.«
    Mort lehnte sich an einen Baum und schnappte nach Luft, während die Hexe die Reste ihrer sterblichen Existenz betrachtete.
    »Hmm«, meinte sie skeptisch. »Das Leben bleibt nicht ohne gewisse Konsequenzen.« Sie hob die Hand und lachte, als das Sternenlicht hindurchfunkelte.
    Dann veränderte sie sich. Mort hatte diesen Vorgang schon mehrmals beobachtet: Er begann immer dann, wenn die Seele begriff, daß sie nicht länger an das morphogenetische Feld des Körpers gebunden war. Meistens entwickelte die Metamorphose ein eigenes Bewegungsmoment, aber der Hexe gelang es auf eine bewundernswerte Weise, den Umwandlungsprozeß zu kontrollieren. Das Haar löste sich aus dem dicht zusammengesteckten Knoten, wuchs in die Länge und glänzte in allen Regenbogenfarben. Falten schrumpften zusammen und lösten sich auf. Das graue Wollgewand wogte wie die Oberfläche des Meeres und schmiegte sich an völlig neue Konturen, die eine seltsame Hitze in Mort entstehen ließen.
    Ammelin Kniesehne sah an sich hinab, lachte leise und tauschte ihr Kleid gegen etwas Laubgrünes und Hautenges.
    »Wie gefällt dir das?« fragte sie. Zuvor hatte ihre Stimme kratzig und fast schrill geklungen; jetzt deutete sie auf Moschus, Ahornsirup und andere Dinge hin, die Morts Adamsapfel wie die Kugel an einem Gummiband auf und ab tanzen ließen.
    »…«, brachte er hervor und umfaßte den Sensengriff so fest, daß die Knöchel weiß hervortraten.
    Die Hexe kam mit wiegenden Hüften näher und lächelte ein bezauberndes Sieh-mich-genau-an-Lächeln.
    »Ich habe dich nicht verstanden«, gurrte sie.
    »S-s-sehr hübsch«, stotterte Mort. »Hast du – früher so ausgesehen?«
    »So bin ich immer gewesen. Es ist mein wahres Selbst.«
    »Oh.« Mort starrte auf seine Füße. »Eigentlich muß ich dich jetzt fortbringen.«
    »Ich weiß«, erwiderte die Hexe. »Mach dir keine Mühe: Ich bleibe hier.«
    »Das ist unmöglich! Ich meine…« Er suchte nach den richtigen Worten. »Weißt du, wenn du bleibst, breitest du dich, äh, aus und wirst immer dünner, bis…«
    »Ich werde es genießen«, sagte Frau (beziehungsweise Fräulein) Kniesehne fest. Sie beugte sich vor und gab Mort einen Kuß, der ebenso substanzlos war wie das Seufzen einer Eintagsfliege. Gleichzeitig löste sie sich auf, bis nur der Kuß blieb, eine Erinnerung, die sich mit erotischer Glut in Morts Gedächtnis brannte.
    Eine ganze Weile blieb der Junge wie angewurzelt stehen und preßte die eine Hand an die Wange. Die Bäume am Rand der Lichtung erzitterten kurz, und der kalte Wind trug ein ätherisches Lachen herbei. Dann herrschte wieder frostige Stille.
    Das nervöse Winken der Pflicht durchteilte den rosaroten Dunst hinter Morts Stirn. Er griff nach der zweiten Lebensuhr, zwinkerte und stellte fest, daß die obere Hälfte nur noch wenig Sand enthielt.
    Lotusblüten schmückten das Glas, und als Mort sie berührte, erklang ein leises Ommm.
    Er wirbelte um die eigene Achse, lief über den knirschenden Schnee und schwang sich auf Binkys Rücken. Der Hengst hob den Kopf, bäumte sich auf und sprang den Sternen entgegen.
     
    Große Zungen aus blauen und grünen Flammen leckten von der Wurzel des Kosmos herab. Gespinste aus oktarinem Glanz tanzten langsam und mit majestätischer Erhabenheit über die Scheibenwelt, während die Aurora Coriolis – das energetische Flackern des starken magischen Felds – Blitze zu den grünen Eisbergen in der Mitte hinabschickte.
    Das gewaltige Massiv von Cori Celesti, Heim der Götter, war eine zehn Meilen hohe Säule aus funkelndem Feuer.
    Ein solcher Anblick bot sich nur wenigen Menschen dar, und Mort gehörte nicht zu ihnen: Er klammerte sich verzweifelt an Binkys Hals fest und schloß die Augen, als sie an der Spitze eines Kometenschweifs durch die Nacht rasten.
    Andere Berge umgaben Cori Celesti. Im Vergleich zum riesigen granitenen Turm wirkten sie wie Maulwurfshügel, obwohl jeder von ihnen über ein angemessenes Sortiment an Graten, Schrunden, Schluchten, Geröllhängen, Pässen, Klippen und Gletschern verfügte. Jedes beliebige Gebirge wäre mit einer solchen geographischen Ausstattung zufrieden gewesen.
    Auf dem höchsten von ihnen, am Ende eines trichterförmigen Tals, wohnten die Lauscher.
    Es handelte sich um eine der ältesten

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