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Gevatter Tod

Gevatter Tod

Titel: Gevatter Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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Gans. Ah, ja. Laß mich mal kurz im Stichwortverzeichnis nachsehen.« Er blätterte erneut. »Aha, hier steht's.«
    »Nun?«
    »Ohne Vertikalität geht der koschenillerote Kaiser zur Teezeit hinaus. Gegen Abend schweigt die Molluske an der Mandelblüte.«
    »Ja?« fragte Keli respektvoll. »Was bedeutet das?«
    »Wahrscheinlich überhaupt nichts, wenn du nicht gerade eine Molluske bist«, erwiderte Schneidgut. »Vermutlich ging bei der Übersetzung einiges verloren.«
    »Kennst du dich wirklich mit solchen Dingen aus?«
    »Ich schlage vor, wir wenden uns den Karten zu«, sagte der Zauberer hastig und mischte. »Zieh irgendeine!«
    »Es ist der Tod«, stellte Keli fest.
    »Oh. Nun.« Schneidgut suchte nach den richtigen Worten. »Die Todeskarte ist natürlich nicht immer und unbedingt mit dem Tod an sich gleichzusetzen.«
    »Anders ausgedrückt: Sie bedeutet nur dann keinen Tod, wenn dein Kunde zu aufgeregt ist und du es für besser hältst, die Wahrheit zu verschweigen, hm?«
    »Nimm eine andere Karte!«
    Keli zog eine und betrachtete sie. »Schon wieder der Tod.«
    »Hast du die andere zurückgelegt?«
    »Nein. Soll ich noch eine wählen?«
    »Warum nicht?«
    »Welch ein Zufall!«
    »Tod Nummer drei?«
    »In der Tat. Ist dies ein spezielles Kartenspiel für irgendwelche Zaubertricks?« Keli gab sich alle Mühe, beherrscht zu klingen, aber sie konnte das hysterische Vibrieren nicht ganz aus der Stimme verbannen.
    Schneidgut furchte die Stirn, sammelte die Karten ein, mischte sie noch einmal und legte sie dann nacheinander auf den Tisch. Es gab nur einen Tod.
    »Meine Güte«, murmelte er. »Ich glaube, die Sache ist ernst. Würdest du mir bitte deine Hand zeigen?«
    Er betrachtete sie eine Zeitlang. Nach einer Weile ging er zur Kommode, zog die oberste Schublade auf, holte eine Lupe hervor und befreite sie mit flüchtiger Verlegenheit von einer dicken Haferbreipatina. Mehrere Minuten lang beobachtete er alle Einzelheiten der schmalen zarten Hand, lehnte sich schließlich zurück und musterte Keli.
    »Du bist tot«, sagte er.
    Die Prinzessin zögerte. Ihr fiel keine passende Antwort ein. Den Worten ›Das bin ich nicht‹ mangelte es an einem gewissen Stil, wohingegen ›Im Ernst?‹ ein wenig zu banal klang.
    »Habe ich schon darauf hingewiesen, daß die Sache ernst ist?« fügte der Zauberer hinzu.
    »Ich glaube, ja«, sagte Keli langsam und sachlich.
    »Nun, ich hatte recht.«
    »Oh.«
    »Es könnte sogar fatal sein.«
    »Der Tod ist bereits fatal genug, oder?« erwiderte Keli.
    »Ich meine, nicht unbedingt für dich.«
    »Oh.«
    »Weißt du, irgend etwas Fundamentales scheint aus den Fugen geraten zu sein. Du bist in jeder Hinsicht tot, und doch sitzt du putzmunter vor mir. Die Karten halten dich für tot. Die Lebenslinie beklagt dein Ableben. Selbst das Universum trauert um dich.«
    »Während ich auf dem Standpunkt stehe, daß ich nach wie vor lebe«, stellte Keli fest, obgleich ein Schatten des Zweifels über ihre Züge huschte.
    »Ich fürchte, deine Meinung spielt in diesem Zusammenhang keine große Rolle.«
    »Aber die Leute können mich sehen und hören. Zumindest einige. Zum Beispiel du.«
    »Wenn man mit dem Studium an der Unsichtbaren Universität beginnt, lernt man als erstes, daß die Leute solchen Dingen keine besondere Aufmerksamkeit schenken. Es kommt nur darauf an, was ihre Gehirne für wichtig halten.«
    »Du meinst, die Leute sehen mich nicht, weil ihre Gehirne auf stur schalten?«
    »So ungefähr. Man nennt das Vorherbestimmung oder so ähnlich.« Schneidgut sah Keli betroffen an. »Ich bin Zauberer. Wir Magier wissen über solche Dinge Bescheid.«
    »Nun«, fügte er unmittelbar darauf hinzu, »eigentlich wird man nicht sofort in dieses Rätsel des menschlichen Verhaltens eingeweiht. Zunächst erfährt man, wo sich die Toiletten befinden, was sicher nicht unwichtig ist. Aber auf dem Studienplan steht diese Sache an erster Stelle.«
    »Du kannst mich sehen.«
    »Oh, sicher. Zauberer werden dazu ausgebildet, Dinge zu erkennen, die wirklich existieren. Gleichzeitig gewöhnt man es ihnen ab, Imaginäres zu beobachten. Unter gewissen Umständen ist eine solche Fähigkeit recht nützlich. Es gibt bestimmte Übungen, um…«
    Keli trommelte mit den Fingern auf den Tisch – oder versuchte es wenigstens. Es erwies sich als überraschend schwierig. Mit vagem Entsetzen starrte sie hinab.
    Schneidgut beugte sich rasch vor und wischte mit dem Ärmel über die Tischfläche.
    »Tut mir leid«, brummte er.

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