Gevatter Tod
Fliege, die an Fensterscheiben abprallte. Es war eine Fliege, die sich durch Mauern bohrte, ein Insekt, das unter einer aus Blei bestehenden Klatsche hervorkroch, Gift spuckte und Rache schwor. Seltsame Flügel und andere sonderbar Objekte ragten aus ihrem Leib, und sie besaß erstaunlich viele Zähne.
»Wie heißt sie?« fragte Mort.
ICH NENNE SIE – TODS RUHM. Tod bedachte das Objekt mit einem letzten bewundernden Blick und verstaute es in der Kapuze seines Umhangs. ICH FÜHLE MICH GENEIGT, AM HEUTIGEN ABEND EIN BISSCHEN LEBEN ZU GENIESSEN, sagte er. DU HAST JETZT DEN DREH RAUS UND KANNST DICH UM DIE PFLICHT KÜMMERN. DAS WÄR'S.
»Ja, Herr«, erwiderte Mort und stöhnte innerlich. Er nahm seine Existenz als einen scheußlich finsteren Tunnel wahr, an dessen Ende kein Licht strahlte.
Tod trommelte mit den Fingern auf den Tisch und summte leise.
OH, FAST HÄTTE ICH ES VERGESSEN, sagte er. ALBERT TEILTE MIR MIT, JEMAND MACHE SICH IN DER BIBLIOTHEK ZU SCHAFFEN.
»Ich verstehe nicht ganz, Herr.«
JEMAND NIMMT BÜCHER AUS DEN REGALEN UND LÄSST SIE HERUMLIEGEN. BÜCHER ÜBER JUNGE FRAUEN. DER BETREFFENDE SCHEINT DAS FÜR AMÜSANT ZU HALTEN.
Wie bereits erwähnt wurde, haben die Heiligen Lauscher ein so gut trainiertes Gehör, daß sie durch einen ordentlichen. Sonnenuntergang taub werden können. Für einige Sekunden glaubte Mort, sein Nacken entwickle ein ähnlich geheimnisvolles Talent, denn er konnte sehen, wie Ysabell plötzlich erstarrte und ganz langsam die Nadel sinken ließ. Er hörte auch das leise Keuchen, das er schon einmal vernommen hatte, bei den Regalen. Und er erinnerte sich an das Spitzentaschentuch.
»Ja, Herr«, sagte er. »Es wird nicht wieder vorkommen, Herr.«
Die Haut zwischen seinen Schulterblättern begann zu jucken.
AUSGEZEICHNET. NUN, IHR BEIDE KÖNNT JETZT GEHEN. LASST EUCH VON ALBERT EIN LUNCHPAKET GEBEN. MACHT EINEN AUSFLUG. DIE FRISCHE LUFT SCHADET EUCH BESTIMMT NICHT. VERGNÜGT EUCH EIN WENIG. ZUSAMMEN. MIR IST AUFGEFALLEN, DASS DU MEINER TOCHTER AUS DEM WEG GEHST. Er stieß Mort gutmütig in die Rippen – es fühlte sich an, als ramme ihm jemand einen Stock in die Seite – und fügte hinzu: ALBERT HAT MICH DARAUF HINGEWIESEN, WAS DAS BEDEUTET.
»Tatsächlich?« fragte Mort zerknirscht. Er hatte sich geirrt: Es schimmerte ein Licht am Ende des Tunnels, und es stammte von einem Flammenwerfer.
Tod warf dem Jungen einen verschwörerischen Blick zu, und in seinen Augenhöhlen zwinkerten zwei Supernoven.
Mort reagierte nicht darauf. Nach einigen Sekunden der Verzweiflung wandte er sich wortlos um und hielt auf die Tür zu. Im Vergleich zu seiner Geschwindigkeit bewegte sich Groß-A'Tuin mit der fröhlichen Flinkheit eines hin und her hüpfenden Lamms.
Er war bereits auf halbem Weg durch den Korridor, als er eilige Schritte hörte und eine Hand nach seinem Arm griff.
»Mort?«
Er drehte den Kopf und sah Ysabell durch einen Nebel aus deprimierter Niedergeschlagenheit.
»Warum hast du meinen Vater im Glauben gelassen, du seiest für die Sache mit den Büchern verantwortlich?«
»Keine Ahnung.«
»Das war – sehr nett von dir«, sagte Ysabell vorsichtig.
»Bist du sicher? Ich weiß überhaupt nicht, was über mich kam.« Er holte das Spitzentaschentuch hervor. »Ich glaube, es gehört dir.«
»Danke.« Ysabell putzte sich die Nase.
Mort ging weiter, die Schultern wie Geierschwingen geneigt. Das Mädchen lief ihm nach.
»He!«
»He?«
»Ich wollte dir danken.«
»Schon gut«, murmelte Mort. »Ich möchte dir nur raten, demnächst keine Bücher mehr herumliegen zu lassen. Es ärgert sie. Oder was weiß ich.« Er versuchte, möglichst freudlos zu lachen. »Ha!«
»Ha was?«
»Einfach nur ha!«
Er erreichte das Ende des Flurs und bemerkte die Küchentür. Sicher wartete Albert auf der anderen Seite und grinste anzüglich. Mort wußte, daß er einen solchen Anblick unter den gegenwärtigen Umständen nicht ertragen konnte. Er blieb stehen.
»Ich habe die Bücher doch nur genommen, weil ich mich nach Gesellschaft sehnte«, sagte Ysabell hinter ihm.
Mort kapitulierte.
»Wir könnten einen Spaziergang durch den Garten machen«, sagte er kummervoll, verdrängte das in ihm keimende Mitleid und fügte hinzu: »Ohne irgendwelche Verpflichtungen.«
»Soll das heißen, du willst mich nicht heiraten?« fragte Ysabell.
»Heiraten?« wiederholte Mort entsetzt.
»Aus diesem Grund hat dich mein Vater hierher gebracht, stimmt's? Immerhin braucht er gar keinen Lehrling.«
»Du
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