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Gevatter Tod

Gevatter Tod

Titel: Gevatter Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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»Gestern bestand mein Abendessen aus Brötchen mit Sirup und Melasse.«
    »Was soll ich jetzt tun?« fragte Keli.
    »Ich schätze, es bleiben dir nicht viele Möglichkeiten.«
    »Nicht viele?«
    »Nur sehr wenige, um ehrlich zu sein. Nun, du könntest eine ziemlich erfolgreiche Diebin werden… Entschuldige bitte. Das war taktlos von mir.«
    »Der Meinung bin ich auch.«
    Schneidgut klopfte ihr unbeholfen auf die Hand, und Keli war viel zusehr in Gedanken versunken, um die eklatante Majestätsbeleidigung zu bemerken.
    »Weißt du, es steht bereits alles fest. Die Geschichte hat alle Details ausgearbeitet, vom Anfang bis zum Ende. Form und Inhalt der einzelnen Tatsachen sind völlig unbedeutend, denn die Historie rollt einfach über sie hinweg. Man kann nichts ändern, weil die Änderungen längst berücksichtigt wurden. Du bist tot. Das Schicksal hat dein Leben beendet. Versuch einfach, dich damit abzufinden.«
    »Ich will mich nicht damit abfinden«, erwiderte Keli. »Warum sollte ich? Immerhin ist es nicht meine Schuld.«
    »Du verstehst nicht. Die Geschichte hält nie an, sondern marschiert schnurstracks weiter. Du bist sozusagen am Wegesrand stehengeblieben, und von nun an beschränkt sich deine Rolle auf die einer unbeteiligten Beobachterin. Du kannst nicht mehr aktiv in das Geschehen eingreifen. Mach dir nichts draus. Es ist ohnehin besser, den Ereignissen ihren natürlichen Lauf zu lassen.« Schneidgut klopfte erneut auf die Hand seiner Besucherin. Als Keli aufsah, schluckte er und wich zurück.
    »Wie soll es von jetzt an für mich weitergehen?« fragte das Mädchen. »Muß ich aufs Essen verzichten, weil die Nahrung nicht für mich bestimmt ist? Erwartet man von mir, daß ich mich in irgendeine Gruft zurückziehe und dort mein Dasein friste, bis ich zum zweitenmal sterbe?«
    »Ein recht schwieriges Problem, nicht wahr?« kommentierte Schneidgut. »Tja, so ist das eben mit dem Schicksal. Wenn die Welt dich nicht wahrnehmen kann, bist du tot. Wir Zauberer wissen über solche…«
    »Sag es nicht!« Keli stand auf.
    Vor fünf Generationen ritt einer ihrer Vorfahren mit seiner Gruppe berittener Halunken durch die weite Ebene. Die Halsabschneider, Diebe, Räuber und Meuchelmörder verharrten einige Meilen vor dem Hügel von Sto Lat, und ihr Anführer (Kelis Ahne) beobachtete den schlafenden Ort mit einer speziellen Entschlossenheit, die folgende stumme Botschaft übermittelte: Mir reicht's. Wenn man im Sattel geboren wird, so bedeutet das noch lange nicht, daß man auch darin sterben muß.
    Eine Laune der Natur versetzte ihn in die Lage, der Urururenkelin vieler seiner unverwechselbaren Merkmale zu vererben 3 , was erheblich zu Kelis eher exzentrischer Attraktivität beitrug. Diese Eigenschaften wurden nun deutlich sichtbar. Selbst Schneidgut war beeindruckt. Wenn es um Entschlossenheit ging, zersplitterte selbst Granit an Kelis vorgeschobenem Kinn.
    Sie benutzte genau den gleichen Tonfall, in dem sich ihr Ahne vor dem Angriff an seine müden, verschwitzten Gefährten wandte 4 , als sie sagte:
    »Nein, nein, ich finde mich nicht damit ab. Ich werde mich nicht in eine Art Geist verwandeln. Du wirst mir helfen, Zauberer.«
    Schneidguts Unterbewußtsein nahm den besonderen Klang der Stimme zur Kenntnis. Das determinierte Vibrieren in ihr sorgte dafür, daß selbst die Holzwürmer in den Bodendielen ihren Festschmaus unterbrachen und Haltung annahmen. Keli brachte nicht etwa eine Meinung zum Ausdruck, sondern traf eine schlichte Feststellung.
    »Ich, Fräulein?« erwiderte der Zauberer unsicher. »Ich weiß überhaupt nicht, wie…«
    Er wurde vom Stuhl gerissen und mit wehendem Mantel auf die Straße gezerrt. Keli straffte die Schultern, marschierte in Richtung Schloß und zog den widerstrebenden Schneidgut hinter sich her. Sie schritt wie eine Mutter, die sich auf den Weg zur Schule macht, nachdem ihr geliebter Sohn mit einem blauen Auge nach Hause zurückgekehrt ist. Sie wurde zu einer unaufhaltsamen Naturgewalt.
    »Was hast du vor?« fragte Schneidgut und begriff mit wachsendem Entsetzen, daß er Keli nicht aufhalten konnte, was auch immer sie plante.
    »Heute ist dein Glückstag, Zauberer.«
    »Oh«, brummte er, »wie schön für mich!«
    »Du bist gerade zum Königlichen Wiedererkenner ernannt worden.«
    »Aha. Und worin besteht meine Aufgabe, wenn ich fragen darf?«
    »Du wirst alle Leute daran erinnern, daß ich noch lebe. Es ist ganz einfach. Du bekommst drei ordentliche Mahlzeiten am Tag, und außerdem

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