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Gewäsch und Gewimmel - Roman

Gewäsch und Gewimmel - Roman

Titel: Gewäsch und Gewimmel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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Sich-Freuen aus, das Hans nach der Eingewöhnung im Dunkel gelassen überstand. Aber nicht durchgängig. Als er seinen Freund Hehe in die Arme schließen wollte, zuckte er zusammen. Er hatte vorher schwungvoll Ilona begrüßt, der man die anderen Umstände noch nicht ansah. Wirkte sie nicht schon immer in ihrer slawischen Weichheit ein bißchen schwanger? Vor dem Metzger jedoch wich er einen Schritt zurück.
    Er sagte nichts, aber jeder erkannte sein Erschrecken.
    Sicher, beide waren bewegt, sie standen sich ja am nächsten, nur kam etwas Befremdliches hinzu. Es wirkte fast so, als würde Hans seinen Freund nicht wiedererkennen, so ungläubig starrte er. Nicht gut für Wilhelm Hehe! Er merkte sofort, und Ilona tat es auch, daß Hans sein Aussehen, an das wir von Treffen zu Treffengewöhnt waren, nach der langen Zeit entsetzte. »Ist was?« stammelte Hehe wegen der ausgebrochenen Stille, in der mir besonders die plötzliche Wachsamkeit in den Zügen des Dr. Herzer auffiel, der in diesem Moment vielleicht zum ersten Mal am Metzger den Tod entdeckte. Und dann seufzte Hehe, nur ein einziges Mal, doch es klang wie ein Schluchzen, und diesmal war es Hehes Kopf, der an die Schulter meines lieben, hilflosen Herrn Scheffer sank.
    Endlich kam Hans der diskrete Einfall, nach dem er offenbar hektisch gesucht hatte: »Ich werd’s dir erklären, Hehe, nimm’s deinem alten Kumpel nicht krumm. Jetzt bin ich da, bleibe ewig hier, erteile jede gewünschte Auskunft und werde mich sogar von jeder kleinen Dienstreise ordnungsgemäß melden.« Es gelang ihm, derart reuevoll in die Runde zu sehen, daß ihn alle Frauen furchtbar gern an den Ohren genommen und geküßt und lange nicht hergegeben hätten. Unmöglich, schade! Warum sagte er nicht: »Na, altes Haus? Hat dich Ilona schlecht gepflegt?«, etwas in der Art. Er brachte es nicht fertig. Der Schock war zu groß gewesen.
    Doch dann ging alles wie vergessen in der schönen Aufregung unter. Nur sah Hans öfter heimlich zu Hehe hin. »Die Explosion zu deiner Abreise«, sagte Hehe, als er einmal so einem Blick begegnete, »hat eine Art Ehe gestiftet. Ilona wohnt jetzt bei mir. Wir erwarten Nachwuchs. Der strengt schon an, bevor er da ist.« Da stellte ich fest, daß seine Haare inzwischen vollständig grau und viel weniger geworden waren. Auch Hans schien aber die Sorge um seinen Freund im Laufe dieses heiteren Abends zu entgleiten. Ich dachte mir, Herr Hans ist glücklich wie wir alle. Spüren wir nicht wieder das Klopfen seines Herzens und werden dadurch jung und lebendig? Nur bleibt er selbst ein bißchen zu geistesabwesend in seiner Freude.
    Das änderte sich auf der Stelle, als er, nachdem Magdalena in aller Vorsicht angefragt hatte, das Wort »Anada« aussprach.
    »Anada Aki«, sagte er, und es lief dabei ein solches Glänzen über sein großes Gesicht, daß wir alle, ob wir wollten oder nicht, angesteckt wurden und mitlächelten, »das heißt ›pretty woman‹! ›schöne Frau‹.« »Hübsche Frau«, rief Iris, »nicht ›schön‹, leider nur ›hübsch‹. Ich stelle mir überhaupt ein Naturkind unter ihr vor, da oben, in der wilden Eiseskälte, in Fellen von Kopf bis Fuß und abgehärtet von Wind und Wetter. Wie ich mein Alaska kenne, wird dort der Teint nicht gerade verhätschelt.«
    Herr Hans wandte sich ihr in Ruhe zu und sah sie eine Weile stumm an. Sie schielte nervös unter seinen Blicken. »Doch, gnädiges Fräulein. Der Urgroßvater, leider kürzlich erfroren, jedenfalls verstorben, hat das Goldgeschöpfchen auf Händen getragen. Und dann kam ja ich! Anada besitzt mindestens zehn Paar Stöckelschuhe. Wenn es kalt ist natürlich eine riesige Bärenfellmütze und Stiefel aus Pelz. Am besten, Sie stellen sich eine Zarin vor, Iris. Und dann ist sie eben sehr, sehr jung.«
    Iris griff sich sofort ins Gesicht. Hatte er ihr etwa einen Kirschkern unters Auge gespuckt, hatte ohne Bosheit genau gezielt und getroffen? Wir erschraken ein bißchen mit. Womöglich verglich er uns mit Anada und stellte fest, daß wir in seiner Abwesenheit deutlich gealtert waren. Aber diese Unsicherheit verstärkte nur unsere Erregung, die doch viel besser war als alle Gefühle ohne Herrn Hans und fern von ihm.
    Er sprach von ihr, und bald begriffen wir, daß man jede Verstimmung von Hans ruckzuck heilen konnte, wenn man das Gespräch nur rasch auf diese Alaska-Anada brachte. Wir verfuhren danach. Er durchschaute das, aber es störte ihn nicht. Er entwarf das Bild einer zufällig und eher aus einer

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