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Gewäsch und Gewimmel - Roman

Gewäsch und Gewimmel - Roman

Titel: Gewäsch und Gewimmel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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werden könnte. Oder wollte sie es nicht wahrhaben, schlug es frech in den Wind, vergaß es einfach in dämlicher Unschuld? Was hatte Hans ihr bloß über seine Gefühle eröffnet? Niemand wußte es, jeder sah, wie er sich quälte. Nur sie, sie eben nicht. Manchmal waren ihre Augen morgens wieder blutunterlaufen. Sofort hätte ich das einsame Mädchen am liebsten fest in den Arm genommen. Nein, nicht geweint! Die Rötung rührte bloß von der Schläfrigkeit her, die sie lächelnd mit schneeweißen Fingern aus den Höhlen rieb, um dann wieder auf ihre langsame Art ins Butterbrot zu beißen und träge vor sich hin zu kauen. Vielleicht hat sie ihre abenteuerlichen Pläne ad acta gelegt, dachte ich in solchen Momenten. Ein so friedliches Wesen und so verrückte Einfälle?
    Alles verkehrt. Sie sammelte einzig und allein ihre Kräfte für Neues und vergeudete kein barmherziges Gramm davon an uns oder Hans.
    Ich höre noch die Galeristin Steinert schreien: »Erzählt mir nichts, ihr Kindköpfe! Irgendwo hinter dem Ural, spätestens am Hindukusch lungert ein Boyfriend herum, mit dem sich das Früchtchen per Internet präzise, Kopulieren inbegriffen, abgesprochen hat!«
    Mit dem September begann die Zeit der maßlosen Räume über den Weiden und dem hochstehenden Mais hier draußen, gleißend unter finsterem Himmel, der Wind tobt in den Eichen. Es ist ein großer Augenblick, wenn sich unter dem Sommer die nächste Jahreszeit regt. Ich kenne die Signale. Erste Strähnen in den Bäumen und ein dauerhaft goldener Schein, unabhängig vom Licht. Die Dämmerungen schieben sich sachte, sacht nach vorn.
    Ein letztes Mal wanderten wir drei, Hans, Anada, ich durch das Schutzgebiet und darüber hinaus in den Wald. Man hatte dort bei einer Bank einen sichelförmig gebogenen, längs durchschnittenen Baumstamm als Tisch hergerichtet. Kaum saßen wir, fing Hans an, die Stirn zu runzeln. Er starrte auf zwei Namen, irgendwelche, die, mit einem durchbohrten Herzen dazwischen, in die Tischfläche geschnitten waren. Ich schob unauffällig meinen Rucksack darüber, er ließ sich nicht ablenken, funkelte mich zornig an, aber es war wohl eher der Blick, der durch den Stoff hindurch dem Schriftzug galt, wischte den Rucksack beiseite und hob den Kopf. Ich mußte das liebe, traurige Gesicht ansehen, ich mußte ohnmächtig anhören, daß er leise sagte: »Sie gute Frau!« Dann sprang er auf, bleich, wie oft in den letzten Tagen, abrupt nach seiner Art, und lud uns zum sogenannten Ponyhof ein, obwohl das dort nicht seine Freunde sind. Aus geschäftlichen Gründen plädieren die Inhaber für immer mehr Reitwege durchs Gelände. Bloß weg von der scheußlichen Inschrift, Hans? Anada, zart und dickfellig, trottete hinter uns her.
    Gerade, unter meinem Strohhut im Regen, wünsche ich mir wieder, ich könnte zusehen, wie das Durcheinander der Eisenfeilspänchen von Magneten geordnet wird, ja, wie sie ohne Vertun ihrem rechtmäßigen Platz und Ziel zuströmen. Das würde mir guttun, zehnmal hintereinander möchte ich die Probe machen. Es geht nie schief.
    Daß es sich so unselig entwickelte! Was Hans an Anada fesselte, ihre unberührbare Jugend, schüchterte ihn gleichzeitig ein. Dabei wurde er doch von allen anderen Frauen umgaukelt! Ihr gegenüber machte er alles falsch. Aber es gab noch etwas anderes, Unvereinbares zwischen den beiden. Anada glaubte an die Ferne, glaubte an irgendein Werweißwas hinter dem Horizont, Hans dagegen fest entschlossen an seine kleine nacheiszeitliche Länderei. »Sie träumen unversöhnlich in getrennten Räumen.«Das sagte Sabine, mit der ich in den letzten Tagen vor Anadas Abreise oft spätabends darüber gesprochen hatte, ja, so hat sie es ausgedrückt: »unversöhnlich« und dazu vergnügt in sich hineingelächelt. Ihr war auch aufgefallen, daß Anada manchmal lange vor unseren Tonnen mit der Mülltrennung stand, kichernd den Kopf schüttelte und immer wieder vor sich hin sagte: »Blau, gelb, rot, grün«, als wären es Mensch-ärgere-Dich-nicht-Figuren für Riesenkinder.
    Wir saßen damals aber vor unseren redlichen Blechkuchenstücken im Gartencafé in der Septembersonne, und Hans starrte Anada düster an. Er versuchte zu erraten, welchen Zeitplan sie hinter ihrer weißen Kinderstirn ausbrütete, vor allem wollte er noch immer dahinterkommen, was ihr eine derartige Macht über ihn verschaffte. Anada spielte mit den Papierservietten. Was soll ich hier noch? buchstabierten die verblüffend biegsamen Finger, während ihr

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