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Gewäsch und Gewimmel - Roman

Gewäsch und Gewimmel - Roman

Titel: Gewäsch und Gewimmel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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Terbenzel der Hausname sein? Oder war’s Tenbenzel?
    Schon als Kind spürte ich in manchen Augenblicken Löcher in der Welt, die schwarzen Spalten, oft in der Dämmerung und auf öden Straßen, bis mir dann gottlob zum Trost die bösen Hartmann-Brüder als echte Gefahr einfielen. Aber gerade jetzt, wo noch nicht mal eine Bank in der Nähe ist, stellt sich heraus, daß die Welt ablösbar ist, in ihrer Rundheit vollständig ablösbar von einem dunklen Hintergrund, über den man nichts weiß, nicht, ob er aufhört, ob er sehr kalt ist und vielleicht in endlose Schwärze übergeht oder diese Schwärze schon ist. Es gibt das schöne Tosen der Unendlichkeit und ihr schauriges Klaffen. Ab 12 Uhr beginnt die Stunde der Mittagsteufelin. Vorsicht! Mannennt sie die Geisterstunde des Tages. Da nimm dich in acht, Frau Wäns!
    Vielleicht werde ich, wenn sie erst aus Wien oder Rom zurück sind, Hans einmal fragen, ob er sich denken kann, was die Jäger, das Mädchen, der Metzger verbindet. Es ist dann ja sicher genug Zeit vergangen. Vorsicht, nicht stolpern! Ich will es aber eigentlich nicht mehr wissen. Man klammert sich manchmal an Schnapsideen. Und das ist schon der ganze Sinn.
    Hans hatte Anadas Blick, so vergänglich er war, damals in Dömitz bei seinem Tanz auf dem Backsteinmäuerchen aber doch aufgefangen! Er ließ sich sein Sektglas noch einmal von Magdalena füllen, trank in einem Zug aus, gab es zurück und legte den Arm um Anada. Nur wer den vorausgegangenen Blickwechsel beobachtet hatte, konnte ahnen, daß es sich nicht um das übliche Getändel handelte. Wer aber wie ich, ob ich es wollte oder nicht, das Gesicht unseres Herrn Hans überwachte, der begriff das Endgültige. Hans war siegesgewiß über den Graben gesprungen!
    Nachdem wir das Kasemattengewölbe besichtigt hatten, wollte man bei dem schönen Wetter nicht noch ins Museum im Kommandantenhaus, wollte lieber von einer der fünf Bastionen ins weite, blaugrüne Elbtal sehen. Das ging sicher auch den restlichen Besuchern so. Zu diesem jetzt also vermutlich menschenleeren Gebäude führte Hans das Mädchen energisch hin. Daß er keine weitere Begleitung wünschte, drückte seine Haltung eindeutig aus, und ich glaube, die Kulisse für den geplanten Anschlag freute ihn im voraus. Es war kindisch von mir zu erwarten, die Mauern würden gleich zu glühen beginnen. Ich tat es aber, mir ist jetzt so.
    Was wußten Sabine und ich von dieser Fremden, die Mirkos heiliges Zimmerchen bewohnte? Sie hielt sich, obwohl immer freundlich, wenn ihre Hilfe benötigt wurde, viele Stunden dort oben auf, um, wie sie sagte, Briefe zu schreiben, Sprachen zu lernen, zu schlafen, auch am Tage. Natürlich, sie sammelte Kräftefür ihren Verrat an Hans! Von Alaska hat sie wenig erzählt. Sie besaß dort eine kleine Erbschaft des Groß- oder Urgroßvater, ich hab’s vergessen, etwas gehortetes Gold, das sie für ein Weilchen unabhängig machte. Und später? Ach später, später!
    Hans kam bald mit gesenktem Kopf zurück, Anada ging ein Stück hinter ihm. Sie sah aus wie immer. Sie las ja auch alle Katastrophennachrichten, ließ sich alle gedruckten Unglücke auf der Welt begierig erklären, wenn sie etwas nicht verstand, zeigte aber keine Reaktion, nickte nur bei fast geschlossenen Lidern den Explosionen, Abstürzen, Massakern zu, ohne eine Gemütsbewegung zu verraten, und hatte wieder ein paar Vokabeln gelernt. Sabine und ich, wir kannten das von jedem Frühstück, falls sie rechtzeitig erschien. Das war allerdings nicht regelmäßig der Fall.
    Ich hatte Hans noch nie so blaß gesehen. Das liebe listige Gesicht wirkte in den Einkerbungen grau, unter den Augen gelb, genauso war es damals nach dem schweren Anfall bei seinem Freund Hehe gewesen. Von diesem Moment an hörte ich ihn an diesem Tag bis zum Abschied nicht mehr sprechen und könnte nicht sagen, wer die Leitung unseres Ausflugs übernahm. Tat es jemand? Vielleicht hat Hans den Rest durch Zeichen geregelt? Seine Niedergeschlagenheit senkte sich nicht sogleich, nicht plötzlich auf uns herab, sie schlich vom einen zum andern, bloß allmählich rückte die Eintrübung vor. Nur wußte keiner, warum eigentlich, woher die Bekümmerung rührte. Zum Schluß aber, nach mehrfachem Räuspern, bevor sich unser nun so unbegreiflich beklommener Kreis in die verschiedenen Richtungen auflöste, sagte er laut, übertrieben laut einen Satz, der, wenn ich mich recht erinnere, mit »Ich« begann, aber dann mußte er sich wieder räuspern und setzte noch

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