Gewäsch und Gewimmel - Roman
am Abend zurück. Sie lächelte uns unbefangen an, als sie hörte, wir hätten uns Sorgen gemacht, senkte den Kopf und dachte lange über eine Antwort nach. »Ich wußte nicht, daß euch meine Pläne wichtig sind«, sagte sie schließlich. »Ihr seid so gut, so freundlich gewesen. Nun fliege ich am 27. fort. Zuerst nach Moskau. Wir werden uns ja nie wiedersehen.« Als Sabine ihr ein kleines Abendessen zubereiten wollte, wehrte sie es mit zwei Wörtern ab: »Schon satt!« Anada, die »schöne Frau«,das bis zur Taille so liebliche Wesen, lebte noch eine Woche bei uns.
Es war die Zeit der Wahlen, die diesmal nicht günstig für die Vorhaben unseres Herrn Hans ausfielen. Die neu zusammengesetzte Koalitionsregierung zog sich verdeckt von den Naturschutzprojekten zurück. Der Fortschritt, die Wirtschaft, das Ordnungsbedürfnis des Bürgers, das alles solle nicht länger behelligt werden. Unser Herr Bürgermeister stellte täglich Überraschendes an.
Auch eine Nachricht zum Zustand Hehes erreichte uns. Es sei nun hoffnungslos, berichtete Ilona mühsam am Telefon und weinte nicht, und wenn, dann jedenfalls unhörbar. Es gab damals viele Anrufe im Tristanweg. Zocks, Herzers, Iris, Finnland: Wir wünschten ohne Ausnahme, es möge fix vonstattengehen mit Anadas Verschwinden. Um so zügiger würde unser Hans zu uns zurückkehren und einigermaßen der alte sein.
Es vollzog sich schnell und pünktlich. Das Mädchen mußte alles bereits eine Weile perfekt geplant und in die Wege geleitet haben. Man ließ sich zu leicht von ihrem kindlichen Äußeren täuschen und meinte, man müsse das weißhäutige Geschöpfchen schützen. In Wirklichkeit war sie eine abgebrühte Weltreisende, die eine unsichere Ferne fest ins Auge gefaßt hatte.
Hans, heldenhaft ein Lächeln erkämpfend, holte sie am Morgen des 27. September bei uns ab. Mit dem Riesenrucksack, nicht anders gekleidet als bei ihrem Einzug, kam sie die Treppe herunter. Da stand sie auf reizende, mühelose Weise, hob ein letztes Mal die Lider, leuchtete mit ihrem ganzen Wesen. Ich sah Hans nicht an, nur das liebe, abenteuerlustige Kind, das nach Jugend duftete und mir, dem braven alten Mütterchen, um den Hals fiel und Sabine bei steif ausgestrecktem Arm die Hand reichte.
Dann fuhren sie los, die beiden zum Flughafen, Sabine in die Innenstadt zu ihrer Bank. Nie tauchte die seltsame Elsa aus der Moritzstraße hier draußen im Tristanweg auf, wenn man siebrauchte! Ich habe mich im ersten Schrecken auf den Boden zur Katze gehockt. Nach kurzer Zeit stand sie auf, ließ mich unten zurück und setzte sich aufs Sofa.
Das Tier wies mich zurecht. Also machte ich mich, und spielte mir selbst das Großmütterchen vor, in meinen ewigen Ferien, in meiner Betrübnis, schleunigst aus der leeren Wohnung auf, dorthin, wo die gelben Blättchen der Birken aus einigem Abstand jetzt aussehen mußten wie die Früchte wilder Mirabellen, und wo der Heide-, Moor-, und Nadelholzgeruch mich manchmal fast betrunken gemacht hat vor Freude. Vielleicht gelänge das an diesem verspäteten Sommertag ebenfalls, an dem alles lau, windstill, säuselnd sein würde und das Schmalblättrige Weidenröschen aber schon graue Locken trug?
Die Heideflächen vertrockneten, da es während Anadas Anwesenheit fast nie geregnet hatte. Es lag eine Erschöpfung über der Landschaft. Die Kräfte schwanden ihr. Es schrumpfte, welkte, verrostete an tausend Stellen. Die Pferde hinterließen lange Staubfahnen, aber am Himmel entstanden kühne Streifen, Pinselstriche von einem Horizont zum anderen. Das da oben hatte nichts mit der Schwäche unten zu tun.
Merkwürdig, ich erinnere mich noch heute, daß ein Mann auf seinem Fahrrad an mir vorbeifuhr. Seine Frau war ein Stück hinter ihm unterwegs, und als wäre es eine Geheimparole rief er dreimal in einigem Abstand nach hinten. »Ich hab’s im Römertopf gemacht!« Beim dritten Mal sagte auch ich es leise vor mich hin. »Ich hab’s im Römertopf gemacht!« Ich konnte nicht anders, ohne Sinn: »Ich hab’s im Römertopf gemacht!« Das war ja das Gute, ohne Sinn und Verstand, aber beinahe zum Trost.
Der feine Spätfrühlingsregen hat längst aufgehört. Mein Strohhütchen, mein treuer Zuhörer, ist naß. Ich muß ihn zum Trocknen in der Hand tragen und schwenken wie ein lustiger Wanderbursche aus vergangenen Tagen. An meinem liebsten, verstohlensten Teich schleichen, das Gebüsch am Wegrand verbirgtes noch nicht ganz, zwei Gestalten hintereinander her. Ach, was, das ist ja schon
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