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Gewäsch und Gewimmel - Roman

Gewäsch und Gewimmel - Roman

Titel: Gewäsch und Gewimmel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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sie fängt an zu weinen. Halb nackt in ihrem Turnhemdchen duckt sie sich auf dem Boden vor dem Klettergerüst. »Die Affen!« hört Elsa schließlich aus dem Schluchzen heraus. Nein, keine Chance, heute ist an Gymnastik nicht zu denken. Elsa hockt sich neben die Kleine und wird von ihr so böse angesehen, daß sie sich schuldbewußt fühlt. Es ist etwas gegen die Erwachsenen, das ist ihr klar.
    Sie muß lange warten, bis sie erfährt, was Ilse nun weiß. Affensind als Haustiere beliebt. Man muß sie, um sie zahm zu machen, schon als Babys eingewöhnen. Dazu schießt man die Mütter von den Bäumen. Die Kleinen haben sich fest angeklammert und lassen sich häufig nicht lösen von ihren toten Müttern. Man versucht es mit Gewalt. Dabei werden die Äffchen oft schwer verletzt, sterben auch.
    Soll Elsa sagen, daß es weit weg ist von hier, oder daß Ilse etwas falsch versteht? Ilse hat alles richtig verstanden. Sie kann dem Kind nur betrübt die verkrampften Füße massieren und schnell Geschichten von guten Menschen erfinden, auch mit Ach und Krach ein paar lustige. Ohne ein winziges Lachen will sie Ilse nicht auf den Heimweg schicken.
    »Geht alle zum Teufel, alle!« ruft sie und reißt sich schwitzend den Kittel vom Leib, als Ilse endlich verschwunden ist. Der ist nun nicht mehr schneeweiß.
    Das ergrimmte Kind aber wird vielleicht bald oder später, hoffentlich erst später, erfahren, daß es beim Lesen von Nachrichten über Menschen aus aller Welt und nicht weniger beim Lesen in sich selbst noch viel Schlimmeres als Tränen gibt, nämlich das blanke Entsetzen, trockenen Auges.
Im Frühsommer
    Elsa wundert sich über Frau Wäns, die heute wie im Fieber sagt: »Am frühen Nachmittag: das Licht, bevor es verschwindet, moorig braun, es platscht auf die Haut herunter und wird schließlich weggesaugt. Die Dunkelheit schlürft das Licht bald weg. Ringsum am Horizont zieht die Ferne auf, hoch die Unendlichkeit, Frau Elsa. Wie habe ich gezittert in meiner Freude! Die Pferde auf den Weiden am nächsten Tag sind alle verschieden, keins gleicht dem anderen in Größe und Fell. Sie stehen zwischen gefrorenen und, gegen Mittag, tauenden Pfützen und dem zähen unentwegten Gestrüpp. Das Kraut ist nicht umzubringen vom Frost. Ihre Mähnenhaare wehen so wunderschön, oder sindes hohe Gräser im Wind? Die Körper aber stehen bewegungslos. Ich dagegen habe gezittert in meinem Glück. Sehen Sie nur, wie ich zittere. Im Tauwetter schlängelt sich der Bach neu in seiner Flüssigkeit, natürlich, das ist doch natürlich. Man verliert trotzdem für Augenblicke darüber den Verstand. Ist denn Frühling? Vier Jahreszeiten auf einem Meter Breite: vereiste Winterwege, schmale Spuren von nassen Herbstblättern, Moos funkelt wie verrückt auf den Baumstämmen. Dann sieht man fünf Bäume im Halbkreis. Fünf starke Schattenstämme. Und ich? Ich sprudle hoch wie ein Springbrunnen von meinem Standort aus bis zum Himmelsgewölbe. Dann fließe ich ringsum am Horizont wieder herab. Das wußten Sie noch nicht von mir. Dabei ist Dezember.«
    »Es ist jetzt doch Frühsommer, Frau Wäns, draußen besonders«, sagt Elsa, ein bißchen verlegen, aber sanft.
    Ihre Patientin lächelt sanft zurück: »Nicht jetzt, Frühsommer, jetzt nicht. Ich spreche von damals. Jetzt, sagen Sie? Die Jugendlichen heutzutage sind mir fremd wie Steine, fremder als junge Ziegen in den Gehegen. Mein Mirko wäre jetzt Mitte zwanzig und ganz anders. Ich sage damals, extra damals: Habe ich Ihnen denn erzählt, daß meine Mutter Adelgunde hieß, weil meine Großmutter, Mirkos Ururgroßmutter, die Sängerin Anna Hornberg, unbedingt einen Adligen als Ehemann für ihre Tochter wünschte und bei der Taufe mit dem Namen schon die Weichen dafür stellen wollte?«
    Was für ein Durcheinander! Ob Frau Wäns nur Fieber hat, oder sind Schäden vom Überfall zurückgeblieben?
Verblüffung
    Clemens Dillburg, von schmerzenden Füßen und schwierigen Fällen in seiner Pfarrei ausreichend geplagt, hat sich nach dem Umzug der Schwester Sorgen gemacht. Er kann sich nicht genug um sie kümmern. Sie selbst ist ungeübt, sich Freunde oder auch nur Bekannte zu schaffen. Ihr unzufriedenes Gesicht beimAbendbrot versetzt ihn beinahe in Zorn. Er hatte es sich so schön vorgestellt. Die Schwester erweist sich als – er denkt mit Mühe: liebe – Last.
    Nun aber die Überraschung! Agnes lächelt vor sich hin. Ja, leise, geräuschlos, aber Dillburg kann es trotzdem hören. Er hört es aus der ungewohnten Milde

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