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Gewäsch und Gewimmel - Roman

Gewäsch und Gewimmel - Roman

Titel: Gewäsch und Gewimmel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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Literaturbetriebsquatsch. Aber sollte er nach Kalkutta fahren, in afrikanische Kriegs- und Hungergebiete, umsich einbilden zu können das sei jetzt »das Leben«, sei »die Welt«? Er war dafür immer zu feige und zu, o ja, auf verzwickte Art bescheiden gewesen.
    Er fuhr also gegen Norden. Im Zug eine Anhäufung von »Herren mit Menschenaugen«. Das stammte, wenn er sich richtig erinnerte, von Ror Wolf, der älter und von noblerem Geblüt war als er, Pratz. Das mußte ihm keiner sagen, er wußte es selbst. Ein junges Mädchen hatte ihm dann im Abteil gegenübergesessen, der Hals so weiß, daß es unanständig war, ihn nackt zu zeigen. Das Geschöpfchen glimmte und glitzerte beim Telefonieren ganz ohne Anstand vor sich hin. Komisch, der Freund am anderen Ende hatte doch auch nur die Wörter zur Verfügung wie er, Pratz, und alle anderen! Bekloppte, prahlerische Jugend! Im übrigen war er so weit ja noch gar nicht weg von denen. Weder gehörte er schon zu den Narren, die irgendwann anfangen, wie verrückt in Tundra, Wüste, Arktis zu fahren, als ließe sich dort dem Tod ein Schnippchen schlagen, noch und erst recht nicht zu den Greisen der Folgeetappe, die auf umgekehrtem Weg das gleiche versuchen, im Haus hocken und eifersüchtig über die fugenlose Einhaltung des Tageslaufs wachen, damit Jan Klapperbeen nicht durch die Ritzen zu ihnen schlüpft.
    Pratz fuhr gegen Norden und setzte sich dort zuerst auf die alte Gartenschaukel der Kinder. Was hatten er und seine Frau eigentlich voneinander gehabt? Sie war schon immer eine intelligente Person gewesen, voll Einverständnis, ohne es jemals auszusprechen, daß sie und er einander nicht unbedingt liebten, sich aber perfekt ihre jeweiligen Vorstellungen von Liebe erfüllten, solange es ging in ihrer Ehefirma. Die Klugheit ihres Bündnisses bestand darin, die Kunst der Selektion zu beherrschen. Man nahm nur wahr, was einem an seinem Gegenspieler gefiel. Den Rest übersah man. Viele nannten das bereits Liebe und hielten lange damit aus. Im Zugabteil hatte sich auf einem Schild ein Paar stürmisch geküßt, nur weil, wie zu lesen stand, die Harnwegedes Mannes in Ordnung waren. Die Welt stürzte Pratz weg, schaukelnd wurde er der Welt entrissen. Sie sank an ihm nieder, er sank tief in sie ein. Das hatte ihm schon immer gefallen. Er trainierte etwas dabei.
    Kam jetzt aber im Haus nicht gelegen. Seine Frau begrüßte ihn flüchtig mit kritischem Blick auf seinen »braunen, ja märzwiesenbraunen Anzug«. Die Begrüßungsbosheit lag in der kleinen Pause nach dem gedehnten, wie suchenden »ja«. Kein Zweifel, er sollte vermuten, sie würde fortfahren: »kotbraunen Anzug«. Nicht »kackbraun«, nicht »scheißbraun«, nein, »kotbraun« als der muffigsten Version. Davon verstand sie was, die gelehrige Pratz-Schülerin! Sie habe an diesem Morgen ihre allerletzte Perlenkette verloren. Erkannte sie ihn vielleicht gar nicht? Sie gab sich keine Mühe mit ihm. Normalerweise merkte sie sich die Leidenschaften von Leuten für Pferde, für Spanisch, für Pornographie und betäubte sie durch gemimtes Interesse, falls etwas für sie dabei herausspringen sollte. Das Verwirrende: sie trieb das weder aus Berechnung, noch aus Kaltschnäuzigkeit.
    Es war animalisch.
    Er sah ihre putzigen Hände und die kräftigen kurzen Beine. Plötzlich verrieten sie sich als seine Feinde. Ihre mangelnde Länge wurde durch die Energie der Waden und das Aufstampfen wettgemacht. Er hatte das Gefühl, sie zöge gleich einen Schuh aus und schlüge ihm mit dem Metallabsatz den Schädel ein: »Ob es dich freut oder enttäuscht: Keiner von denen, die sich und anderen einreden, sie warteten neugierig, gar sehnsüchtig auf dein nächstes Buch, ist unter den Anwesenden. Das kann ich garantieren.«
    »Gestiefelt und geschnäbelt …«? Nein, er hörte jetzt im Kopf: »Ich weiß, was ich weiß.« In einer Ecke des Wohnzimmers saß ein schwarzhäutiger, schon älterer Musiker in himmelblauem Anzug mit einem Hut auf dem Kopf, an dem eine kleine feuerrote Feder steckte. Und wie schnöselhaft die Fußbekleidung! LasziveStiefelspitzen aus dem Spätmittelalter. Lautlos flötend zog der Schwarze eine Schnute. Am Abend sollte es eine Party mit Konzert geben. Für solche Anlässe stellte seine Frau die Gästeliste zusammen, ein Buffet mit Würzigem und Süßem. Es blieb beim besten Willen jetzt keine Zeit, sich um Pratz zu kümmern. Immerhin durfte er sich umsehen. Seine reiche Frau hatte es endlich geschafft, für den freien Blick den

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