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Gewäsch und Gewimmel - Roman

Gewäsch und Gewimmel - Roman

Titel: Gewäsch und Gewimmel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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irgendeine Instanz der rasenden Materie überhaupt würde standhalten können.
    Erst jetzt wurde ihm, exakt in diesem Augenblick, bewußt, wie er niemals eine Beobachtung für sich stehenlassen konnte. Immer war sie aggressiv oder verteidigend gegen den dummen Rest der Welt gerichtet. Nur das gab ihm die Schubkraft zur Erkenntnis.
    Andererseits lief der Wind damals als großer Metaphernbildner und Metaphoriker rastlos durch Birken, Kiefern, Ebereschen, durch Eichen und Buchen und Pappeln, über Gras und Wasserspiegel, durch das Haar einer Luzia, einer Elli.
    Plötzlich fiel ihm ein Satz ein, er wußte nicht gleich von wem: »Wir hacken wie die Steindohle nach jedem Glanze.«
    Ja, und in jeder gemalten oder fleischlichen Schönheit verbarg sich, sosehr sie in sich zu ruhen schien, der adelnde Schmerz einer sie sprengenden Sehnsucht.
    Jetzt spätestens wußte er, daß diese Glücksnachmittage nichts, gar nichts wert gewesen wären ohne das, was ihn damals immer so stechend aus ihnen heraustrieb, auch wenn er es längst aufgegebenhatte, den sich überschlagenden, mehrfachen Wirklichkeiten in der Anschauung eines einzigen Dinges, eines schön bewimperten Kuhauges und seiner benachbarten, von Krähen leergefressenen Höhle nachzujagen. Er gab sich damit zufrieden, die plausibelste Version ein bißchen poetisch aufzuschminken. Seine Leser, weder Götter noch Idioten, bemerkten ja nicht den Betrug. Sie belohnten ihn, treu und treuherzig, dafür, daß sie sich in seinen Romanen aalen konnten. Hatte ihm nicht aber schon aus dem 18. Jahrhundert sein englischer Kollege Samuel Johnson warnend signalisiert: »Wenn die Gäste sich wie zu Hause fühlen, hätten sie ja gleich zu Hause bleiben können«?
    Wie herrlich war sehr viel früher, er erinnerte sich kaum noch, aber leider doch ein sentimentales bißchen, das Stadium gewesen, wenn, nachdem der Plan für einen Roman feststand, die Umgebung, der sie ja entstammte, sich in ihrem Sinn strikt zu formen begann, in allen Details, mit jedem Tag mehr, und ihm die Dinge, jedes brauchbar, freiwillig Haus und Herz berannten!
    Die pulsierende Beleuchtung, die in den ersten Herbstfärbungen ein Feuer anzündete und sie gleich darauf, schwindend, ernüchtern ließ: Er selbst war im Gleichklang an- und ausgegangen. Im Sommer wurden Himmelskuppeln in den Buchen errichtet, die dann im Oktober lodernd bestehen blieben, unabhängig von den Launen des Lichts. Das Singuläre? Das Universale? Für ganze zwei Wochen röhrte und rumorte und röchelte das Gold. Ach, zu spät. Warum hatte er sich bloß so gemeingemacht? »Es funkeln auf mich alle Sterne / mit glühendem Liebesblick …«? Jemand hatte irgendwann von außen gegen den All-Karton getreten. Nun zitterten sie davon noch ein wenig nach, die Sterne. Mehr war da nicht. Nur der Frost, der den gesamten zärtlichen Liebesflaum zum Absterben brachte. Sehnsucht! Todesangst! Glückseligkeit! Hatte nicht sein Leben zu diesen Königslegenden nur schäbige Miniaturen einer Vollstreckung geliefert,während er schon bald den längeren Gedankengang unter Beifall des Publikums mit Exekutionswollust dem Fallbeil der Pointe aussetzte? Scheißdreck. Selbst am Ende würde es bei ihm nur ein Sehnsüchtlein und ein Tödchen sein. Natürlich fragte er sich, bei wem das denn wohl anders ausfiele.
    Die alten Landschaftshöhepunkte wurden, nach Gebrauch, erlegte Hasen, schlaffe, an den Haken gehängte Beutetiere, entwichen war alles Lebendige. Ob seine Leser jemals rausgekriegt hatten, daß er voller Menschenhaß war und, etwas später, an ihrem Treiben wie an dem seiner Helden in Wahrheit völlig desinteressiert? Vermutlich nicht. Er versteckte es aus geschäftlichen Gründen ja sogar vor sich selbst.
    Der Glanzsatz eben, jetzt war er sicher, stammte von Jean Paul. Das mußte man den wirklichen Dichtern lassen: Sie gaben dem, der den unweigerlichen Verlusten des Voranlebens ausgesetzt war, für Augenblicke fast alles Verlorene wieder. Wenn sich auch (oder gerade weil) der »Glanz« im Echtleben bloß als ein Reflex oder billiger Lack herausstellte.
    »Gestiefelt und geschnäbelt«? Vielleicht hatte er sich verhört, so, wie er sich vor kurzem sehr komisch verlesen hatte, als nämlich statt »Nature morte« »Natur rumorend« für eine halbe Sekunde bei ihm angekommen war. »Gewiegelt und erwählet«, was in der Art? Kaum denkbar.
    »Ich weiß, was ich weiß«? Das klang unfreundlich, aber noch immer besser als der andere, sehr ungute Satz. War aber das, um ihn

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