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Gewäsch und Gewimmel - Roman

Gewäsch und Gewimmel - Roman

Titel: Gewäsch und Gewimmel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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hätte sie lieber nicht machen sollen.
    Die Kinder johlten, sie lachten sich halb tot, sie wußten nicht, was eine Königswolke ist.
    Nach der Schule rannten sie Ilse nach. Sie waren bald nur noch ein paar Schritte hinter ihr und riefen: »Da geht die Königswolke! Hui! Gleich schwebt die Königswolke um die Ecke!«
    Ilse ging schneller und schlüpfte schließlich durch einen Spalt im Zaun in einen geheimen Garten. Dort war ein dunkles Dickicht für sie allein. Die anderen schrien durch die Lücke, trauten sich aber nicht hinterher: »Da brütet sie, die Königswolke!« Ilse hockte unter einem Eisentisch und begann das Wort zu hassen. Sie würde nichts davon in ihr Tagebuch schreiben. Es mußte unbedingt vergessen werden. Es hätte nichts bekannt werden dürfen, die Lehrerin hatte sie verraten mit ihrem Lob. Dämliche Kuh!
    Und doch hat Ilse die Wolke gesehen und erkannt, wie sie, die mächtigste und prächtigste von allen, königlich wie keine zweite auf der Welt, mit einem Strahlen aus sich selbst, angeschwollen aus eigener Kraft, über den Himmel zog.
    »War nicht so gemeint«, sagten die Verfolger am nächsten Tag. Ilse: »Fahrt alle zur Hölle!«
    Am warmen Abend desselben Tages läßt sie an einem kleinen See Papierschiffchen, in denen ein brennendes Teelicht steht, aufs Wasser treiben. Es dämmert schon stark, die Eltern sind in der Nähe. Sie soll längst aufhören, tut es aber erst, als die nacktenFüße empfindungslos werden. In der Nacht stemmt sie abwechselnd die eisigen Zehen gegen die schon wieder warmen Innenschenkel.
    Da entdeckt Ilse wieder etwas, was sie aber diesmal nicht ausplaudern wird. Es ist, wie wenn ein Eisbällchen auf der heißen Zunge schmilzt, nur noch besser: Man spürt jetzt aus beiden Richtungen, wie es ist, wirklich ist, von der einen, heißen, aber auch von der anderen, kalten Seite.
Rätsel
    Wie lange dauert das Gefühl »Glück«? Minimum? Maximum?
Pratz privat
    »Ist das jetzt das Leben?« wurde Pratz wie jeden Morgen von seinem stets spionierenden, in ihm drin sitzenden Zweitpratz gefragt.
    Obschon es zu den kränkenden Spezialitäten seiner Frau gehörte, ihm zu berichten, wie enttäuscht junge Doktorandinnen seien, wenn sie ihn, den berühmten Schriftsteller, persönlich erlebten (zu alt? zu dick? zu uncharmant?), war es wohl höchste Zeit, sie, seine Angetraute, wieder einmal aufzusuchen. Keine Sekunde lang hatte er sie während ihres Ehelebens nach häufiger Künstlersitte durch ungehemmte Exzentrik gezwungen, ihrerseits zum Ausgleich die sauertöpfische Rolle der Vernünftigen zu spielen: Sie war ja schon, mit kleinen, nicht ungefährlichen Pausen dazwischen, genuin und von Hause aus die Vernunft selbst. Manchmal steigerte sie sich in Ekstasen der Intriganz, aber wenn man ihr schmeichelte, wurde sie plötzlich wehrlos bis zur Peinlichkeit. Gesichtsausdruck eines älteren Säuglings. Pratz kannte das von einer bestimmten Sorte scharfzüngiger Schriftsteller. Sobald es in einem Gespräch um deren eigenes Werk ging, ließen sie alle Waffen sinken, wurden schwach und schamhaft wie heute leider keine Heranwachsende mehr beimersten Kuß. Diese Dinger torkelten doch heute schon mit dreizehn von ihren Orgien spätnachts nach Hause!
    Der Entschluß reifte in ihm, als ihn vor kurzem anläßlich einer Fußballübertragung übergangslos tiefe Schwermut überfallen hatte. Das Stadion tobte wegen eines Zufalls oder einer brillanten Parade. D’accord. Aber zu bedenken, daß er, Pratz, vermutlich keinem dieser berauschten Lebewesen wenigstens als Begriff etwas galt, keinem einzigen! Für einen Moment war es ein Sturz in den Abgrund des Nichts und Nein und Vernichtenden. Ähnlich wie früher, wenn er sehnsüchtig auf die Veröffentlichung seiner Texte gewartet hatte. Einzig sein gedruckter Name war der Gültigkeitsstempel auf seiner Existenz gewesen und ein Beweis, daß ihm wiederum die Täuschung gelungen und niemand hinter die tatsächliche Begrenztheit seines Horizonts gekommen war, etwas, was ihn abschloß von unendlichen Weiten dahinter, ein stählerner Ring, den er bis heute nicht hatte sprengen können. Mittlerweile schnitten ihm alle seine literarischen Kniffs und rhetorischen Hausmittel Gesichter. Die Moden? Am Freitag erklärte ein Kritiker die Frage nach dem Sinn zur überholtesten von Leben und Literatur. Am Mittwoch drauf dürstete, zur Abwechslung oder Abrundung eines Artikels, demselben Rezensenten zufolge die literarische Öffentlichkeit nach nichts so sehr wie eben

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