Gewäsch und Gewimmel - Roman
abzulenken, dahinten in seinem Kopf nicht Zick, Zack oder Zock, ein Gartenbauunternehmer, den er einmal flüchtig kennengelernt hatte und von dem man munkelte, er habe trotz seiner vier Kinder jahrelang ein sexuelles Doppel-, ja Mehrfachleben geführt, was Pratz aber für ein geschickt lanciertes, nicht zutreffendes Gerücht hielt? Im Gegenteil, der Mann schwärmte, wenn seine Frau Magda oder so ähnlich, sich außer Hörweite befand, verbaliter, ja verbalissime dermaßen von »glutäugigenFrauen«, daß er vom bloßen Sprechen immer ausgedörrter zu werden schien. Und mit solcher Verausgabung hatte es sich dann vermutlich schon.
Was war mit ihm, Pratz, was kämpfte heimlich unter seinem Brustkorb?
Er selbst, Pratz himself, hatte vor circa zwei Jahren auf einem Bahnsteig kurz und zufällig eine große alte Liebe getroffen, mein Gott, nach neunzehn Jahren, und sie sofort wiedererkannt. Aber was war aus der ehemals singulären Erscheinung geworden? »Universitäre Demutscamouflage, die man über knallhartem persönlichem Ehrgeiz trägt«, erklärte sie ihm sofort. Er wußte es zu seiner Überraschung noch genau: Sie kam gerade von einem einwöchigen Urlaub in Griechenland zurück, wo sie die Tage allein in einer abgelegenen, »thymiandurchdufteten« Bucht zugebracht hatte, nach dem Abendessen eine Runde ums Hotel gegangen und dann mit einer Flasche Rotwein zum Fernsehen in ihr Zimmer verschwunden war. Eigentlich hatten sie einander nur fünf Minuten lang zugelächelt, eine schnelle, paradiesische Korrektur veralteter Erinnerungen. Dann kam endgültig der eine oder der andere Zug. Aber es war ihm in der ganzen Zwischenzeit nie wieder so leicht ums Herz geworden wie an jenem Tag. Das stand fest.
Wer weiß, wer weiß, vielleicht hatte er sich mit den Frauen im Laufe der letzten Jahre nur noch eingelassen, um sich zu Genuß und Zeitverschwendung zu zwingen, um die zunehmende, knöcherne Macht einer ihm früher unbekannten Abstraktion zu bekämpfen? Seine letzte kleine Freundin, wie hieß sie noch? Er kam jetzt nicht drauf, es kam nicht drauf an. Ein liebes Ding, und doch hatte es ihn manchmal nicht nur mit Stolz, sondern mit Zorn erfüllt, wie unverhohlen sie seine erprobten erotischen Kunstgriffe genoß, sich hemmungslos daran entzückte, während er, der nicht mehr und nie wieder Unschuldige, dabei zusehen mußte, sonst nichts, weit entfernt von ihren Freuden, sodaß er sie mit Absicht mitten in ihrer allzu seelenvollen Hingabe und Unterwerfung aufschreckte, bis sie dann jederzeit auf seine Kränkungen gefaßt war. Er hatte sein Spielzeug kaputtgemacht. Im Anfang stickte sie wahrhaftig kleine Meisen und Dompfaffmännchen auf Kaffeedecken. Ganz eifrig hatte sie erklärt: »Der eine kann dichten, der andere kann sticken. Ich habe das Pech, daß Sticken nicht in Mode ist. Schreiben, das ist Mode. Überall schreiben die Leute. Sie schreiben Erfundenes, ihre Träume und Lebensläufe, auch ihre Rezepte. Nur sticken wollen sie nicht.« Er hatte sie einmal »Darlingin« und »Neulingin« genannt. Gott, was für ein ängstlicher Blick daraufhin! Sie kannte ja weder Hölderlins »Fremdlingin«, noch Höltys »Lieblingin«. Wieso sollte sie auch. Warum sollte ausgerechnet dieses Schätzchen mehr Ahnung davon haben, wie aus einem Schmerz ein Satz zu destillieren war, als diejenigen, die ihn später, falls der Autor Glück hatte, als Zitat zwischen zwei Cognacs aus sich rausschmatzten! Immerhin verstand das Mädchen einiges davon, in aller Öffentlichkeit den weit zurückgeworfenen Kopf in der Luft hin und herzuwenden, als läge er vor ihm horizontal in den Kissen.
Wieder stieg ein wohlvertrauter Neid in ihm auf. Es gab Menschen, fast immer jünger als er, die erlebten die Dauer der Zeit in übervoller Gültigkeit. Denen ging einfach nicht in den Dickschädel, daß man sterben muß. Die saßen an einem Tisch, tranken, und taten es drei fette Stunden lang in seiner Anwesenheit. Für ihn waren es aber nur dreißig Minuten gewesen. Für ihn existierte kein wohliges Recken, kein grunzendes Säuglingsdehnen in voll ausgebreiteter Gegenwart, wie er es diesen bevorzugten Dummköpfen ansah. Er haßte sie grinsend, auch jetzt, und hätte verdammt gern mit ihnen getauscht. Ihre Frauen gehörten zu denen, die mit unversehens weicher Stimme davon faseln, wie ein bisher anonymes Gegenüber im Gespräch plötzlich »richtig menschlich und persönlich« wird. Keinen Schimmer hatten die von der hübschen Hölle, wenn ein Freund, bisher
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