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Gewäsch und Gewimmel - Roman

Gewäsch und Gewimmel - Roman

Titel: Gewäsch und Gewimmel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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danach.
    Etwas anderes gesellte sich hinzu. Handelte es sich um einen gefährlichen Prozeß oder nur um eine, wenn auch neue Konzentrationsschwäche? Zunehmend ließ es Pratz kalt, wenn er nach Gedanken und Anblicken griff, die interessant vor ihm auftauchten, ohne daß er sie gleich erwischte. Er bemühte sich seit einiger Zeit gar nicht länger um sie, ließ sie vorbeistäuben und wegstürmen und wandte sich der nächsten Sache zu.
    Andererseits widerten ihn die für ihre subtile Wahrnehmung zuständigen Autoren immer mehr an, wenn sie mit habitueller Schamlosigkeit polierte Einzelheiten apportierten. Die warendoch selbst bloß Miniaturen, Mikros, Miszellen! Dicke Bücher, falls von anderen geschrieben, versetzten ihn in Rage. Am liebsten hätte er ihnen eins vor den Bug geknallt, ihnen in den gigantischen Hintern getreten, den dämlichen Schmökern mit ihren Ohrfeigenvisagen. Allerdings erlebte er manchmal nach dem ersten Drittel eine Überraschung. »Donnerwetter«, knurrte er dann neidlos. »Hm!«
    Wie verhielt es sich bei ihm selbst? Seine Freunde klopften ihm auf die Schulter zu jedem neuen Roman, strahlten ihn an zu jedem frischen Preis, riefen zuverlässig: »Toll!«, schrieben umgehend: »Großartig wie immer!« – damit hatte es sich dann. Lasen sie ihn eigentlich noch? War er, strenggenommen, womöglich schon gestorben?
    Noch etwas kam hinzu und gab den Ausschlag. Am Morgen dieses Tages, an dem ein solarer Windstoß, ein Partikelsturm ionisierter Wasserstoffkerne Richtung Erde raste, aber dort keine Schäden anrichtete, hatte er den Satz gehört: »Gestiefelt und geschnäbelt stolziert der Tod ums Haus.« Er lag allein im Bett, also mußte er ihn selbst gesagt haben. Im Grunde hatte er bisher, in kindlichem Unantastbarkeitsgefühl, keine übermäßige Angst vor dem Tod gehabt. Was ihn anfing zu stören, war dessen penetrantes Durchscheinen durch alles und jedes. Ob großer Schmerz, ganz gegen seinen Ruf, vom majestätischen Metzger Tod und dem Geräusch seines hurtigen Messerschleifens ablenkte? Und was war dabei wirkungsvoller, das körperliche oder das seelische Unglück? Keine Frage: Schon ein unberechenbar auftretender Ganzkörperjuckreiz konnte es, wie man hörte, mit der vollständigen Inanspruchnahme durch jede Art von Leiden aufnehmen.
    Erst kürzlich hatte ihn sein alter Kumpel Bennie verlassen. Herztod auf der Achterbahn. Dabei wollte sich der Kerl vermutlich gerade dort vor Freund Hein verstecken. Bennie, einstmals verwickelt in einen der peinlichsten Schwarzgeld- und Geldwäscheskandale der BRD, ein kapitaler Mann von entwaffnenderKorruptheit, der am liebsten unentwegt Mahnmale zur deutschen Vergangenheit auf öffentlichen Plätzen gesponsert hätte. Das geradezu ergreifend Schöne? Zwischen ihnen gab es verbal immer nur Banalitäten. Das hatten sie bis zu Bennies Davonschleichen beinern durchgehalten.
    »Gestiefelt und geschnäbelt …?« Dann lieber schnell zur ironischen Ehefrau. Vielleicht waren auch die Kinder zur Stelle?
    Obschon er gerade die fürchtete. Drei Halbwüchsige, keine Kleinigkeit. Die noch unverdünnte Essenz, die geballte Aufsässigkeit des Lebens in ihren Augen bedrohte ihn so selbstverständlich, wie sie ihn entzückte. Ihre Mutter dagegen, gefühlsmäßig stark involviert in die Entwicklungszustände ihrer Kinder, verstand es, wohl ohne wirklich zu ahnen, wie atemberaubend sie darin für Pratz noch immer war, ihm die Siege, Niederlagen, ersten Liebschaften der drei in einwandfreier Erzähltechnik zu unterbreiten, pointiert, mit Perspektivwechseln und Motivanalogien souverän jonglierend. Sie schüttelte das aus dem Ärmel und verfuhr zweifellos in seiner Abwesenheit genauso mit ihm, Pratz. Den morgendlichen Todessatz durfte er seiner auf diesem Gebiet zur Phantastik neigenden eisernen Lady auf keinen Fall verraten. Sie würde sich auf dem schwachen Fundament sofort Bizarres zusammenreimen. Womöglich mit einem Beerdigungsinstitut telefonieren?
    Er fuhr also gegen Norden. Trotz des dämlichen Satzes hatte es kurz darauf prima mit der Verdauung geklappt. Das bescherte immer eine schöne Zufriedenheit. Vielleicht ging es so den Frauen nach gelungenem Hausputz. Was wußte er eigentlich noch von der Welt, der Herr Schriftsteller? Das Übliche in seiner Branche, auch wenn man es gern in seiner Dürftigkeit hinter Kraftmeierei verbarg: ein Leben aus Einladungen und Empfängen, Schreiberei, Taxifahrten, sexuellen, literarisch von ihm befingerten Affären,

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