Gewäsch und Gewimmel - Roman
verkomme alles, jedenfalls aus Sicht des Laien und bestimmt im Sinn seiner einstigen Vision. Verkommen sei der falsche Ausdruck, es handele sich wohl um eine Umstrukturierung oder Neukonzeption seines Nachfolgers? Das sanft ironische Brauenheben von Hans daraufhin, ach, der schöne, schöne Mensch! Und: keine Antwort. Hat ihr Ton ihm mißfallen?
Beantwortung erst später, dann freundlich, geduldig. Sie wisse es doch: Vorträge, zwei Bücher über Probleme der Naturschutzgebiete in Norddeutschland und Mecklenburg-Vorpommern. Alles schriftliches Zeugs, auch wenn er dafür oft in Gummistiefeln rumlaufen müsse.
Seine Stimme war leise. Ich spürte, daß Sabine nicht auf den Inhalt achtete, sondern nur auf dieses nahezu unhörbare, entmutigte Sprechen. Sie sah ihn an mit einem Ausdruck von, ich fürchte, trauriger Ungeduld.
Mir fällt noch etwas anderes auf. Früher, vor kurzem doch noch, hing ihre himmlische Seligkeit davon ab, daß Hans bei uns aufkreuzte, und es geschah immer viel zu selten für sie. Mittlerweile runzelt sie die Stirn, wenn er einen und noch einen Tag und noch eine Nacht länger bleibt, ausruht in seinem Wohlgefühl, bei uns, wo doch sein Zuhause ist. Das rührt bei ihr aber nicht von einem schlechten Charakter her, sondern von einemunerwarteten Schmerz, der ihr widerfährt, da täusche ich mich nicht.
Ich ahne, was in ihr vorgeht. So, wie ich es damals tief in mir versteckt und sehr heimlich als winzigen Makel meines prangenden Herrn Hans empfand, daß er sich mit einer so barschen und unschönen Frau wie meiner armen Tochter begnügte, so verkraftet es Sabine nach der ersten Glücksbetäubung nicht, ihren einst großartigen Helden und Kämpfer tagtäglich zufrieden auf unsere Küchenbank sitzen zu sehen. Zufrieden natürlich nicht ganz, vielmehr: ermüdet, geschlagen. Aber, Sabine, doch nicht domestiziert!
Ganz für mich allein und nur in den stummen Ofen hinein will ich es jetzt einmal aussprechen:
Hans sehnt sich im Verborgenen nach der entschwundenen Anada, die er nicht hat.
Sabine sehnt sich nach ihrer entschwundenen Liebe zu Hans, den sie hat.
Glücklich wären dann also beide nicht. Ich aber, ich muß ihr jeweiliges Geheimnis ertragen und – niemand fragt danach – mein eigenes, ungehöriges obendrein, von dem ich ein lausiges Kopfjucken kriege. Denn kleiner, geringer geworden ist mir mein Hans, Held und Herr meiner Landschaft, nicht und niemals. Mir, Luise Wäns, doch nicht! Schon wird mir leicht ums Herz.
Heute am Morgen hat sie zu mir gesagt: »Mutter, zuerst wollte Hans unsere Wandergegend mit den vielen Pfaden und Windungen durchs Gebüsch gewaltsam nach seinem Geschmack verändern, überfluten, durchsumpfen, verrammeln lassen. Und jetzt, am Ende davon, verändert in Wirklichkeit die städtische Gesellschaft mit ihren Beamten und Politikern Hans.«
Ich hätte am liebsten meine Kaffeetasse umgeschmissen, die Butter gegen die Wand geworfen, Sabine an ihren Haaren gerissen und geschrien: Du undankbare Ehefrau und boshafte Tochter, wer hat dich Häßliche denn ins Leben zurückgeholt, duTroll? Aber ihre schönen Augen sind, wenn sie zu ihren Bankgeschäften aufbricht, so traurig, daß es mich hilflos macht.
Das ist es: Auf ihrem Gesicht liegt, wenn sie Hans beobachtet, nach dem fanatischen Spiegeln und Leuchten kein Widerschein, kein Abglanz mehr!
Kenne ich nicht etwa das Problem, diesen … Unfall? Als meine gläubige Kindheit sang- und klanglos dahinschwand, spielte sich zwar anderes in den Vordergrund, aber, auch wenn ich es nicht sofort erkannte, alles mir bis dahin Liebenswürdige entwertete sich. Es gab keinen Ersatz, der mich überzeugte. Sabine hat ihr unwiderstehliches Idol verloren, es funkelt für sie nicht länger und ist ihr durch Niederlagen weggeschmolzen. Ein Fiasko, natürlich, mein Bärchen. Sie fällt vermutlich, und weiß es noch nicht ganz, in ihr altes, wiederauferstehendes Leid zurück. Wohin jetzt, armes Kind, mit deiner maßlosen Hingabe- und Verehrungslust, worauf solltest du dich sonst stürzen mit deiner wilden Natur?
Was sie außerdem noch nicht begreift, vielleicht nie begreifen wird: Man darf sich Wesen insgeheim als Legende, als Gott vorstellen, es ist auch das Schönste an der Liebe, wenn es mit einem Menschen ganz im Innersten, nur für sich selbst, gelingt, aber: Verrate es nie, nicht ihm und keinem anderen in der Außenwelt, verschließe Mund und Augen, was das betrifft. Im Leben muß man barmherzig sein, da muß man, dumme, noch immer nicht
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