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Gewäsch und Gewimmel - Roman

Gewäsch und Gewimmel - Roman

Titel: Gewäsch und Gewimmel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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beherrscht, in der niemand von uns dreien gesprochen hat.
    Sabine schleppt sofort Kartons heran. Sie muß sie schon vor Tagen aus der Ablage gesucht und, gierig auf eine Gelegenheit, bereitgehalten haben. Alles Geschirr wird beiseitegeräumt, schon ist das rote Lieblingstischtuch unter Bildern verschwunden. Ihre Finger zucken zwischen den Aufnahmen des noch kleinen rundlichen und des dünnen heranwachsenden Jungen herum. Die Fotos mit der schändlichen Italienerin sind liquidiert worden. »Ein schöner junger Mann«, ruft Sabine. »Unbegreiflich schön«, »Nie wieder wird etwas so Schönes, ein so glänzender und großartiger Mensch im Tristanweg erscheinen.« »So viele Begabungen, so viel Entschlossenheit, sie einzusetzen, speziell für die geliebte Vogelwelt, für die Landschaft hier. Wie hätte er der Natur und den Menschen nutzen können!« Vielleicht wird sie eines Tages dabei auf den Tisch steigen.
    In ihren Anpreisungen liegt etwas Knurrendes, Gehässiges. Führt sie ihren Sohn heimlich gegen ihren Mann ins Gefecht? Ich hoffe, er bemerkt es nicht und hält alles nur für Verzweiflung und Mysterium der Kindesliebe, die ihm ja unbekannt ist. Das wäre die beste Möglichkeit. Mich wundert, obschon ich Sabines Kränkungsabsicht durchschaue, daß sie sich zu Hymnen dieser Art versteigt. Sie war es doch, die unbedingt den Jungen nach Hongkong und New York schicken wollte, damit er nicht rettungslos einem sentimentalen alteuropäischen Waldweltbild verfiele. Sie war es doch, der es nicht allzu schwer geworden wäre, wenn er sich früh von uns entfernt hätte in die Fremde. Meine Bitten, ihn nicht zu zwingen, zählten damals nicht. Was allein ins Gewicht fiel, war seine unbeugsam vorgebrachte Weigerung. Nur an seinem stärkeren Willen hat der von Sabine Schiffbruch erlitten.
    Hans schweigt. Er studiert die Fotos nachlässig, manche aufmerksam, sieht seine Frau an, mich, den Jungen, scheint in wachsender Ratlosigkeit etwas fragen zu wollen, läßt es dann aber angesichts der hocherregten Sabine, deren rote Gesichtsflecken ihn offenbar zu interessieren beginnen.
    Vielleicht schlägt er gleich mit der Faust auf den Tisch, daß die Bildchen alle hochspringen und sich überschlagen werden? Irgendwas in der Art müßte mein durchgedrehtes Bärchen aus seinem Höhenflug zurückholen. »Ein Juwel«, ruft Sabine. »Ein einzigartiges Menschenwesen!« Dabei sucht sie fortwährend zwischen den Papieren nach einem noch schmeichelhafteren Porträt ihres Kindes, nach einem, das ihren Jubel belegen könnte. Es genügt ihr keins, keins reicht an dessen eigentliche Herrlichkeit heran. Dabei hat niemand weniger als mein guter Enkel Unfug und Leichtsinn solcher nachträglichen Übertreibungen verdient.
    Wie sind wir beide, der Junge und ich, vor langer Zeit einträchtig durch den Wald gewandert und zu den Teichen, noch vor derUmwandlung durch Hans, die geschlängelten Pfade durchs Dickicht. Nachts denke ich wieder öfter an den schnurgeraden Weg, der sich nach hinten und vorn im graugrünen Dämmern aus dem Staub macht. Den bin ich nun viele Wochen nicht gegangen. Brennesseln, Odermennig, Ackerdisteln, Rainfarn, all die struppigen Weggenossen werden sich aufgereiht haben, kriegen mich aber nicht zu sehen.
    Und jetzt, keine zehn Tage später, wünsche ich mir das sacht Übergeschnappte von Sabine schon fast zurück. Eines Morgens, Hans hatte nicht im Tristanweg übernachtet, kam sie mit ganz anderen Bewegungen als bisher in die Küche, die Haare straff hinter die Ohren gekämmt. Wo waren die Brüste geblieben und die andern Ausbuchtungen? Man kann das doch nicht einfach abschrauben. Sabine aber doch. Sie hat mich gar nicht angesehen mit ihren schönen Augen. Ich vermißte das, denn ich fragte mich, ob die vielleicht auch ihr Aussehen geändert hätten. Sie gab mir keine Gelegenheit, es zu überprüfen. Mir wurde richtig kalt, als ihre Augen fehlten, ich meine, die Lider so unentwegt runtergeklappt waren. Ich traute mich nicht, meine eigene, auch einzige Tochter anzusprechen. Ich wollte so früh keine schroffe Antwort, am Morgen bin ja auch ich noch schwach. Daß sich jemand so auswechseln kann von einem zum anderen Tag durch einen Entschluß! Bis in die kleinsten Gesten hinein. Woran lag das aber?
    Die Geschmeidigkeit fehlte, es war eine Zackigkeit eingekehrt, ein Erledigen des Einschenkens und Brotstreichens, eine Vernünftigkeit wie ein Strafgericht in unserer hellen Sommerküche. Sie sah mich nicht an, um das besser durchzuhalten,

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