Gewäsch und Gewimmel - Roman
erwachsene Tochter, das Normale gestatten und die Müdigkeit. Man muß mit unbeirrbarer Liebe die Erschlaffung des anderen überstehen.
Nicht selten kehrt obendrein die Legende zurück. Fast immer zu spät, nämlich nach dem Tod der Person, aber dann, es gibt ja keine Kontrolle mehr, gleich ins Maßlose steigend, auch wenn mehr als ein Jahrzehnt vergangen ist. Ich spreche jetzt von dir, Sabine, von dir und mir in einem gewissen anderen Fall!
Wüßte sie wohl, wenn sie zuhören würde, was ich meine?
Sabines Traum
Auch das deutet schwerwiegende Veränderungen an, überlegt sorgenvoll Luise Wäns und betrachtet ihren Liebling Hans auf der Küchenbank. Wie kann Sabine in seiner Gegenwart so daherreden!
Sabine erzählt, was sie in der Nacht nach dem Treffen mit Hehes Ilona geträumt hat: »Die Straße war voll gemästeter, weißhäutiger, durch Züchtung stark ausgebuchteter Menschen, die in eine Richtung trotteten. Hinter ihnen, hinter der riesigen Menge, die sie vor sich hertrieben, gingen verschiedene Tiere. Sie unterhielten sich über Probleme industrieller Nutzung ihrer Ware bei zu großer Menschendichte in den Arealen. ›Wenn ich sie artgerecht halte‹, sagte ein großer, über und über gefleckter Hund, ›verkaufe ich sie für 2,50 pro Kilo. Das mag manchem teuer erscheinen, aber ich garantiere erste Qualität. Nach der Verarbeitung durch den Metzger kostet es dann das Doppelte‹.«
Hans lächelt seine Frau zwar freundlich an, aber Frau Wäns wundert, daß sich Sabine derart gehenläßt. Kennt sie ihren Mann so wenig? Oder kennt vielmehr sie, Luise Wäns, inzwischen ihren Herrn Hans nicht mehr?
Hinweise
Herrn Gadow, der als fünfzehnjähriger angehender Chemielaborant täglich bei einer kleinen Firma zehn Stunden lang Rohcoffein gereinigt hatte, Rohcoffein, das in versiegelten Fässern aus dem Freihafen angeliefert und nach der aufwendigen Reinigung versiegelt wieder abgeliefert wurde, war viele Jahre später zufällig die Zeitung aus der Hand gerutscht. Er lebte längst als diplomierter Chemiker in guten Verhältnissen. Als er aber aufstand, um sich zu bücken, stolperte er. Auch vorhin war ihm schon etwas, ein Zettel, den er lesen wollte, aus der Hand gerutscht. Auch vorhin war er gestolpert. Oder nicht? Da fiel ihm auf, daß er gar nicht wußte, wo seine Frau sich heute abend aufhielt. Hatte er esvor einer Stunde gewußt? Langsam setzte er sich: »Heute bin ich alt, uralt! Älter als die drei Schachfreunde zusammen.«
Albernes Trübsalblasen! Schon klingelte es doch, schon stand sie doch, jung, obschon ursprünglich so alt wie er, Gadow, im Flur, hatte aus Ungeduld selbst aufgeschlossen. Sie lachte mit feurigen Augen: »Heute hat wieder mein Sumpfläusekraut-Dozent referiert, Herr Kammerjäger Gadow.«
Gadow ging ins Bad, um einen Augenblick allein zu sein. Er setzte sich auf die Klobrille und ächzte: »Ach Gott, ach Gott!« Hatte er ihr nicht gerade heute abend von Lawrence Johnstons berühmtem Garten Serre de la Madone in Menton, Südfrankreich, erzählen wollen? Und nun kam sie ihm wieder mit dem verfluchten Sumpfläusekraut! Er hörte sie frech am Telefon lachen.
»Ach Gott, zu alt, zu alt, zu spät!« klagte er vor sich hin.
Dann aber, nach einer Weile: »Sie ist doch im Grunde ein Kind! Wie sie in jedem Vorfrühling die Samentüten vor sich ausbreitet, Zinnien: Liliput-Mischung und Dahlienblütige Riesen, Wicken: Bijoux-Mischung, Bechermalven: Silver Cup, Ringelblumen: Greenheart Orange! Ein kleines Mädchen ist sie, das sich die Tütchen ans Ohr hält, um die feinen Körner und die trockenen Kerne darin rasseln zu hören. Doch, doch, ein Kind, richtig besehen«, jammerte Gadow, schon zuversichtlicher, »Lawrence Johnstons Serre de la Madone, das machen wir!«
Nichts als Beschwörungen
Frau Gadow hat, um ihren Mann zu beruhigen, zugestimmt: »Klar und toll! Das wird in Angriff genommen. Serre de la Madone in Südfrankreich! Das machen wir!«
Es ist nur so, daß sie früher immer die Springbrunnen und Pavillons, die Putten und bemoosten Lauben für Spuren romantischer Affären und Geheimnisse gehalten hatte, in die man sich zurückträumen konnte. Inzwischen weiß sie, wie sehr das alles von vornherein nur eine Beschwörung gewesen ist. Man wolltedort, wo ursprünglich plattes Land war, eine Stimmung erzeugen. Die leidenschaftlichen Vorkommnisse selbst hatten gar nicht stattgefunden. Man tat nur so, von Anfang an, und täuschte mit vielsagenden »Überresten« eine elegische Vergangenheit
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