Gewäsch und Gewimmel - Roman
aus dem Staunen nicht herausgekommen wäre, statt des Ausflugs zu der dämlichen, dösigen Festung Dömitz im flachen Land?«
Keine Einsamkeit mehr
Tatsächlich und endlich, diesmal hat es bei Alex bestimmt endgültig geklappt. Eine Frau ist aufgetaucht – nicht die Türkin, die ist abgetaucht –, wie geschaffen für ihn. Er verdankt seine Erlösung auch diesmal dem Arbeitswechsel zur Gaststätte von Schwester und Schwager. Die Frau ist hübsch, Hundeführerin und Digitaltechnikerin. Dreimal kam sie allein zum Schnitzelessen. Beim vierten Mal war es um beide geschehen. Alex kann sich sein Glück nicht erklären. Hat Petra etwa, als erste Frau, ja als erster Mensch auf der ganzen Welt, sein echt- und grundund sturzgoldenes Herz erkannt?
Wandernde Lebensläufe
Endlich haben sich Katja und Eva Wilkens einmal wieder getroffen, mitten in Berlin, am Oranienburger Tor. Jetzt sitzen sie in einem Café, der Blick aus dem Fenster wird von einer Betonmischmaschine versperrt, und es ist vor allem Eva, die Neuigkeiten aus ihrem noch immer kurzen Leben berichtet. Katja benimmt sich eher zurückhaltend. Ist sie zerstreut, geistesabwesend? Langweilt sie sich? Sie verfällt zu Trainingszwecken in Schaufensterpuppenstarre, wie sie das gelegentlich gegen Bezahlung für Mode- und Kosmetikfirmen macht. Nach einer Stunde fragt der Komponist Hannes Keller, von dem gestern hier ein Kammerkonzert, schon wieder das aus der Ukraine, mit freundlichem Erfolg vor wenig Leuten aufgeführt wurde, ob er sich zu ihnen setzen darf. Donnerwetter, was für ein gutaussehender Mann! Sofort beginnt Katja, ihre Glieder zu rühren und loszulegen. Sie erzählt ohne Pause von ihrem Deutschunterricht für Ausländer, von ihrer zu Bruch gegangenen Liebesgeschichte, ihren trotzigen Reisen nach Amerika und Tadschikistan, von den Frauen mit den vielen Zöpfen und den geschnitzelten Möhren, von der Liebesversöhnung danach und schließlich dem endgültigen Ende.
Eva ist sprachlos. Als der Komponist für einen Moment mit dem Kellner redet, der zu allem Überfluß beim Servieren Einweghandschuhe trägt, flüstert sie. »Verrückt, Katja! Das gehört dir doch gar nicht! Das ist doch mein eigener Lebenslauf. Da hast ihn mir geklaut. Meinen eigenen Lebenslauf, meinen, meinen.« Katja mustert sie unschuldig: »Hier geht es, liebste, aber schon immer ein bißchen engstirnige, sogar geizige Eva, begreifst du es nicht, um anderes, ganz anderes!«
Die Tigerin II
Könnte es sein, daß Sabine neuerdings auf eine andere Art trauert? Sonst war es doch immer so: Kaum erschien Hans bei uns, gab es rosige Wangen, das Glühen schöner Riesenaugen, alleKörperrundungen in Bewegung, Stummheit und Betäubung vor Glück. Kaum verließ er uns, fiel Sabine in sich zusammen, bleiches Gesicht, dunkle Augenhöhlen, Redeströme. Kummer und Begeisterung hielten sich die Waage.
Und jetzt? Ich weiß nicht recht, möchte vielleicht auch nichts recht wissen. Aber zu leugnen ist es nicht: Sabine trauert seit einiger Zeit auch dann, wenn Hans sich im Tristanweg aufhält. Ich riskiere kaum, es richtig zu merken: Sie sieht dann sogar bekümmerter aus!
Warum soll das aber nun nicht die notwendige und längst fällige Beruhigung sein, nach der Verzückung jetzt ein bißchen Gelassenheit, weil die Gemütskräfte erst mal verfeuert sind? Das möchte ich nur zu gern annehmen. Nur ist in ihrem Blick etwas Nachdenkliches, In-Sich-Gekehrtes, ich will es extra nicht: Argwöhnisches nennen, um nur ja nichts zu beschwören. Es gefällt mir nicht, mein sechster Sinn schlägt an.
Sie beobachtet Hans, anstatt ihn anzuschwärmen. Ich müßte mich freuen, es gelingt mir nicht.
Wer sie nicht so gut kennt wie ich, der merkt zunächst keinen Unterschied. Genauso wie bisher verfolgt sie jede seiner Bewegungen. Sie saugt alles auf, was er sagt, kein Lächeln, kein Stirnrunzeln entgeht ihr. Was ist neu daran? Sie nimmt es nicht mehr so direkt, so einfach in sich auf, begnügt sich nicht mit dem Genuß, registriert aber und überlegt, was es bedeuten, was der Sinn davon sein könnte, ob es überhaupt einen Sinn dabei gibt. Auch horcht sie offensichtlich in sich hinein. Ja, das ist es, sie sucht und forscht nach innen, anstatt glücklich hinzusehen. Warum nur?
Überprüft sie etwas?
Hans geht es gut dabei. Er denkt nicht über die Veränderung nach, reagiert allerdings prompt mit Erleichterung. Denn nun kann er sich unbefangener fühlen und scheint viel lieber bei uns zu sein, jetzt, wo ihn nicht mehr soviel
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