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Gewäsch und Gewimmel - Roman

Gewäsch und Gewimmel - Roman

Titel: Gewäsch und Gewimmel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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sagte der Mann. Nein, nein, das sei keine Unverschämtheit von ihm. Er heiße und stelle sich hiermit vor, so der Unbekannte, ebenfalls Pratz! Soweit es ihm möglich sei, habe er schon nachgeprüft, ob es familiäre Verbindungen zwischen ihnen beiden, Pratz und Pratz, gebe. Hier, in dieser Akte zum Stammbaum voll schöner Überraschungen, habe er, Ahnenforscher aus Leidenschaft, alle bisher gesicherten Verzweigungen der Familie aufgezeichnet. Als er den Namen Pratz zufällig im Vorüberschlendern auf dem Ankündigungsstreifen an der Tür gelesen habe, sei er elektrisiert gewesen, habe nicht lange gefackelt und sei, obschon alles andere als ein Bücherwurm, regulär Eintritt zahlend hergekommen. Nun rechne er auf fruchtbare genealogische Zusammenarbeit, die mühsam, aber lohnend sei. Wer wisse außerdem, ob sich ihre Verwandtschaft nicht als viel enger herausstelle, als sie beide im Augenblick noch glaubten?
    Seitdem, so Pratz in seiner abschließenden Notiz, sei er dem Städtchen, das im Juni mit großen Mengen blauer Lupinen prunke, verfallen, und zwar immer mit dem süßen Kitzel des Risikos, seinen Gegenpratz noch einmal zu treffen. Leider erinnere er sich nämlich nicht, da er sich an diesem Abend betrunken habe, ob seine Antwort lautete: »Das will ich nicht hoffen!« oder aber: »Nur, wenn Sie sich das Haar entfernen lassen, das durch Ihr Kopfmuttermal wächst.«
    Eins aber wisse er, Pratz: Sollte der Kerl je wieder vor ihm stehen, würde er ihn mit beiden Händen hochheben und erst nach einigem Strampeln mit gutmütigem Grinsen absetzen. So habe man das auch mal mit ihm, Pratz, als kleinem Jungen gemacht. Er habe es bis heute nicht ganz verwunden.
    Fast unleserlich stand da noch etwas auf der Rückseite. Pratz junior glaubte, folgendes zu entziffern: »Die Natur spricht und schreit, seufzt und phantasiert in unwiderleglicher Sprache, aber nicht in unserer, die eine des Irrtums und eine fortwährend revisionsbedürftige ist. Amen«
Mysteriöse Frauen
    Alex, der mittlerweile bei Schwester und Schwager auch als Aushilfskellner Geschick beweist, hat zwei Frauen mit gesträubtem grauem Haar beim Weintrinken beobachtet. Im Verlauf ihres hitzigen Gesprächs trumpfte die eine immer selbstgefälliger auf, die andere wurde mit jedem Schluck verzweifelter. Um zu erfahren, worüber sich die beiden so ereiferten, suchte er Vorwände, sich in ihrer Nähe aufzuhalten. Sicher Männergeschichten, ob verjährt oder nicht. Schließlich war er im Bilde. Es handelte sich um zwei gelehrte Personen, vielleicht sogar Theologinnen, die über die Jungfräulichkeit Marias stritten! Die eine lachte die andere aus, der anderen traten die Tränen in die Augen. Am Ende, als sie ihre Flasche geleert hatten, hörte er sie im Duett: »Nein, nein« und: »Doch, doch!«, »Nein, nein« und: »Doch, doch!« Noch von draußen kam es, weiter streitend und rufend aus der Dunkelheit, wie Kuckuck und Esel: »Doch«, »Nein«, »Doch«, »Nein.«
    In der Nacht tauchten zwei andere Bilder aus der Erinnerung vor ihm auf: Eine betrunkene Frau taumelte, um von der U-Bahn-Ebene auf die höhere zu gelangen, auf die laufende Rolltreppe zu. Es war aber die abwärtsführende. Alex kam ihr von oben entgegen, winkte und schrie, damit die wankende Frau nicht verunglückte. Am Fuß der Treppe standen zwei dicke Bahnhofsaufseherinnenin Uniform und betrachteten gelassen die Szene, ohne sich zu rühren, ja, durch ihn, Alex, wohl um ein schönes Schauspiel gebracht.
    Außerdem fiel ihm ein, daß kürzlich eine Person mit wild gefärbtem Haar, ganz anders als Elsas Rot, nicht mehr jung und adrett, nein, das nun wirklich nicht, an der Kasse eine Sechserpackung Bier aufs Band stellte. Der Geldschein fiel ihr hin und zerriß ihr dann in zwei Hälften. Ob sie was zum Kleben habe, fragte sie die Kassiererin. »Zur Zeit nicht«, zischte die Frau. Ob sie denn die beiden Hälften annehme? »Ja«, knurrte die Kassenfrau. »Herzlichen Dank. Auf Wiedersehen«, sagte die Bierkäuferin und drehte sich, als die Kassiererin nicht antwortete, gekränkt horchend nach ihr um. »Auf Wiedersehen!« hatte Alex da schnell in die stumme Lücke gerufen. Bei ihm sagte die Angestellte zum Abschied regelrecht warmherzig: »Und einen schönen Abend wünsche ich Ihnen!« Es sollte eine zusätzliche Rüge für die Verwahrloste sein, obwohl die schon auf der Straße ging.
    Ob es mit mir, ohne meine liebe Schwester und ohne meine gute Frau, wohl auch dahin hätte kommen können, zu solcher

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