Gewäsch und Gewimmel - Roman
Methode nie wirklich schief, denn kommt Jan nicht letzten Endes stets wohlbehalten irgendwo an?
Das soll, wünscht er inständig, auch denjenigen widerfahren, die umgekehrt seine, Jan Sykowas, Kenntnis benötigen.
Deshalb erklärt er, nach einer Straße gefragt, den Weg dorthin gleich dreimal, zur Sicherheit mit weit ausholendem Schwingen der Arme. Ist ein Stöckchen zur Hand und der Boden geeignet, zeichnet er außerdem eine Figur, ein System von Pfeilen auf, um jedes Mißverständnis auszuschließen. Zu häufig mußte er am eigenen Leib erfahren, wie leicht man in die Irre geht.
Seine Frau steht unruhig daneben, in stillem Kampf mit ihrem Gewissen, erst recht, wenn der Fremde, zu Fuß oder als Autofahrer, gutgläubig den Hinweisen Jans Folge leistet. Soll sie sich einmischen und Jan die Freude verderben? Lieber schweigt sie, sorgt aber dafür, daß sich beide, Jan und sie, nach der Auskunft schnell aus dem Staube machen.
Jan verwechselt doch von klein auf rechts und links!
Und kam er nicht kürzlich von einem Freund und erzählte ihr beinahe mit Tränen in den Augen von einem vergehenden Wesen, das der Freund gezeichnet hatte, über sechs Wochen lang? In aller Genauigkeit habe der Maler die Symptome von dessen Schicksal und Untergang festgehalten. »Wer war es denn?« fragte Frau Sykowa.
»Ein großer Kürbis«, sagte Jan mit bewegtem Gesichtsausdruck.
Die Schrecken von Regensburg
Ilse hat auf einer Klassenfahrt in Regensburg die fensterlosen Verliese der Menschen besichtigt, die man als Hexen und Zauberer verdächtigte, auch die Roste über den Löchern, in denen sie bis zu ihrer Hinrichtung festgehalten wurden, während die Wärter ihr Geschäft durch die Gitter hindurch auf ihre Köpfe erledigten. Wer die Folter zwei- oder dreimal ohne Geständnis überlebte, galt als unschuldig und frei, konnte aber nur noch auf allen vieren nach Hause kriechen, ein Krüppel für den elenden Rest seines Lebens.
Ilse spricht eine Woche lang mit keinem Erwachsenen mehr. Sie kennt die Schuldigen: Vater, Mutter, Elsa, Hermi Meier. FrauFendel sowieso. Sie nimmt sich vor, nie wieder im Leben zu lachen.
Als die Woche um ist, sagt sie am Abendbrottisch: »Wißt ihr denn, was ein Scharfrichter alles können mußte? Hängen, mit dem Schwert den Kopf abhauen, aber auch Arme, Hände, Finger abschlagen, vierteilen, pfählen, aufs Rad flechten. Auf einer Preisliste waren die Kosten einzeln aufgeführt. Wenn eine Hinrichtung mißlang, mußte er fürchten, von den Zuschauern gelyncht zu werden.« Sie lacht jeden der Schuldigen triumphierend an.
Das Geheimnis von Immenstadt
Pratz junior, Sohn des im Schoß der Familie verstorbenen Schriftstellers Pratz und für eine gewisse schmerzliche Zeit ahnungsloses Idol der heranwachsenden Ilse, hat in einem zerfledderten Schachbuch eine Notiz seines Vaters gefunden, die Auskunft darüber gibt, warum der alte Pratz eine besondere Anhänglichkeit an das Städtchen Immenstadt, sein »Immenstädtchen« im Allgäu hatte, wobei man lange darüber rätseln könnte (vielleicht wird es die Literaturwissenschaft eines Tages, falls sich das Werk von Pratz noch eine Weile hält, sogar tun), ob der Autor die kleine Begebenheit zu einer Erzählung ausarbeiten wollte oder ob es sich um eins jener absichtlich verstreuten Fundstücke handelt, die Pratz für die Nachwelt (um deren, sein Überleben garantierenden, Forscherinstinkt zu animieren), in einer Mischung aus Infantilität und Berechnung, vor seinem Tod überall verteilt hatte.
Kurz und gut, Pratz notierte auf dem Zettel (wohl einer von denen, die man neben dem Hoteltelefon findet, wobei auf diesem interessanterweise der obere Teil abgerissen war), Eindrücke einer offenbar sehr frühen Lesung in Immenstadt, wo er als junger, unbekannter Autor insofern unter die Wölfe gefallen war, als sich nur sechs Zuhörer eingestellt hatten. Die »Wölfe« waren einerseits die leeren Stühle, andererseits die dadurch konsterniertenBesucher, die ihn mit eisernen Mienen anstarrten. Als er seine Darbietung nicht ohne Schweißausbruch angesichts eines derartigen Straffrostes hinter sich gebracht hatte, trat ein älterer Herr mit einem von einem Haar durchwachsenen Muttermal auf dem Kopf und einem sorgfältig eingewickelten Buch auf ihn zu. Er griente Pratz offenbar so begeistert, nein, zusätzlich zärtlich an, daß der Autor sich sogleich innerlich zurief: Dieser eine hat mein Werk erkannt! Wegen dieses einen wird die Stadt gerettet werden!
»Guten Abend, Pratz«,
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