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Gewäsch und Gewimmel - Roman

Gewäsch und Gewimmel - Roman

Titel: Gewäsch und Gewimmel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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sagt sie sich, geht der Galan in ihm um.
Zeichen und Namen
    Herbert Wind, der Flachländer, der in seiner Kindheit auf überschwemmten Wiesen das Schwimmen lernte und sich als Erwachsener zum Training für die Berge gern einbildet, wenn er auf dem Mittelstreifen der Fahrbahn balanciert, rechts und links davon würde ein Abgrund gähnen, Herbert hat in seinem Wandergebiet in den Alpen eine nagelneue Holzhütte entdeckt, einen Unterstand eher, vorn offen. Wie eine Katze jeden Karton, so muß Herbert sie eine Weile durch Sitzen »bewohnen«. Man hat an den Innenseiten der Wände die alten Zeichen zur Markierung von Holz und Gerät, also von Schlitten, Rechen, Sensen, Gabeln usw. aufgelistet. Sie sollen nicht vollständig in Vergessenheit geraten, die Holzzeichen längst Verstorbener, auch wenn sie und ihre Eigentümer im Original verwittert und vermodert sind, die Kürzel, die für Ardüser Hans de Moritz stehen, für Ablanalp Ulrich, Hermann Georg de Simon, Mettier Jori, Zippert Hans de Lenz. Zeichen und Namen ehemals natürlicher Leute, jetzt Sagengestalten des Jägers oben, in seiner Hütte, in seinem Rauch. Ist der Kerl nicht ursprünglich Arzt gewesen?
    Wer so viele Leute heilen muß, der will auch ab und zu etwas umbringen. Natürlich, den verlangt es danach, außer dem Guten in sich, um der Wahrheit und Wirklichkeit willen, dem Bösen in seinen verborgenen Winkeln, der Mordlust, der Tötungsgier ans Tageslicht zu verhelfen!
    Seit aber er, Herbert, den Herzkrampf hatte, traut er sich nicht mehr da hoch. Jemand könnte mich packen, lacht er, und zu seinesgleichen machen! Dann nimmt er mich auf in seine Kollektion und tauscht mich aus gegen die »Pestleutchen« oder die »Puppe auf der Alp«, er, der Jäger in seiner Hütte, in seinem Rauch, und es heißt plötzlich: »Wind Herbert de Lenz stieg einmal auf zur Hütte des Jägers. Er hätte das besser nicht getan. Unterwegs nämlich …« Und so weiter.
    Lieber nicht.
Hochalpine Gewächse
    Denn war es nicht auch ein bedenklicher Vorfall gewesen, als er kürzlich, nachdem er, schon oberhalb der Waldgrenze, drei Grau- und Weißhaarige, teils lebensmürbe, teils lebensgedörrt unter den beigen Schirmmützen, nach dem Weg gefragt hatte (drei Rentner wohl, die ihm aber nicht helfen konnten, ihn nicht einmal zu verstehen schienen) und Herbert darauf einen ihm entgegenkommenden apfelprallen Wanderburschen mit Hinweis auf die drei ratlosen Männer um Auskunft gebeten hatte, daß diese, offenbar mit übertrieben feinen Ohren ausgestattet, plötzlich zu kichern anfingen, einander in die Seiten stießen und dabei aufschrien: »Die ›alten Leute‹, er hat uns ›alte Leute‹ genannt. Wir sind gemeint, du und du und ich: ›alte Leute‹. Ich glaub, mein Schwein pfeift!«
    Am nächsten Tag jedoch, vierundzwanzig Stunden später, sah er die drei schon wieder, diesmal von einer Bergbahn aus. Sie standen mit ihrem weißen Haar in einer ansteigenden Kurve unmittelbar vor der himmlischen Bläue, die sie umwimmelte: Edelweiß vor dem schwirrender Äther.
    Auf der Stelle fiel Herbert sein Buch mit den Abbildungen in Birnbaumholz geschnittener Alpenblumen ein, zarte Gewächse, die in der Höhe der harten Witterung trotzen, beim Transport nach unten aber wegen des veränderten Luftdrucks selbst in Wasser rasch zu welken beginnen. Wie diese drei Rentner nämlich blühten dort die kolorierten Pflanzen mit ihren Wurzeln und Haaren frei vor dem Himmel. Vielleicht rührte seine Liebe zum Gebirge ja von dieser Sammlung her, die ihm vor vielen Jahren bei einem Antiquar in die Hände gefallen war? Auf dem Deckblatt stand in Schülerschrift der Name eines ihm unbekannten Vorbesitzers. Er merkte ihn sich damals fast ungewollt: »Clemens Dillburg«. Ob der das schöne Buch leid gewesen war, ob man ihm den Band gestohlen hatte? Er, Herbert Wind, setzte seinen Namen für ewig darunter, scheute sich aber, den anderen durchzustreichen.
    Was lag ihm an den Blumen? Herberts Vater war Steinmetz gewesen. Einen richtigen Garten hatten sie nicht besessen, hinter dem Haus befand sich die Werkstatt. Es gab nur den Vorgarten, der zu Kummer und Schmerz seiner Mutter während ihrer ganzen Ehe vollgestellt mit steil aufragenden Grabmalen aus Granit und Marmor war. Jetzt aber: Edelweiß in Menschengestalt!
Schwache Momente
    Vielleicht, sagt sich Timo Brück in besonders schwachen, er nennt es »naturnahen«, Augenblicken, vielleicht sind die Vögel, besonders am Abend bei leichtem Regen, in einer strömenden

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