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Gewäsch und Gewimmel - Roman

Gewäsch und Gewimmel - Roman

Titel: Gewäsch und Gewimmel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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den türkischen Gemüseladen, zum italienischen Frisör und zur griechischen Reinigung und Änderungsschneiderei geht. Er hat seine Favoriten unter den Kundinnen, was das Reinigen und Ändern betrifft, er bemerkt sehr wohl, wie oft die eine und die andere und auch die dritte und vierte junge Mutter zu dem hübschen jungen Griechen, der offenbar Fitnesskurse belegt (Mann, was ein Oberkörper, was für Schenkel, und beides nicht gerade versteckt!), mal eben reinhuscht, auf einen Sprung oder länger, auf ein Täßchen Kaffee oder eine komplizierte Saumabmessung, hoho. Man müsse nicht in der großen Welt zuhause sein wie er, Jockey Hermi, nur zwei und zwei zusammenzählen, schon wisse man, was sich in dem Kabuff mit den drei spanischen Wänden abspiele.
    Es sei, meint Hermi im Vertrauen zu Holterhoff, dem jungen Kerl in der ungesunden Luft da drinnen und fern der griechischen Bläue gegönnt! Er, Hermi Meier, verstehe Spaß und halte in aller Stille Wache, »damit der sympathische Bursche nicht in Schwierigkeiten kommt«, behalte alles im Auge, werde notfalls die Hübschen da drinnen in ihrem ihm, Hermi Meier, vertrauten Leichtsinn vor eifersüchtigen Ehemännern zu warnen wissen, das schon.
    Den Griechen aber vor ihnen, den schlüpfrigen feinen Damen, warnen, was viel dringender sei, das könne er nicht. Nicht mal er, Hermi Meier, sei dazu in der Lage, oha.
Sind so die Frauen in Osnabrück?
    Martha Bauer besucht ihre Freundin Fränzi in Osnabrück. Fränzi führt die neuen Kleider vor, die sie seit dem letzten Treffen gekauft hat. Ziemlich schnell konstatiert Martha bei Fränzi einen verstärkten Zug ins Prächtige, eine Neigung zum Cocktailartigen, wenn nicht gar Staatsempfang.
    Beim Anprobieren sagt Fränzi: »Meine Mutter war eine Heilige, eine Heldin, das Glück meiner Kindheit. Ach, meine Kindheit, welche Wonne, und darinnen meine wunderbare Mutter, eine einzigartige Frau, und das bei fünf Kindern.«
    Aber Martha erinnert sich doch genau, daß Fränzi letztes Mal behauptet hat: »Man hat sich nie um mich gekümmert. Ein vereinsamtes Kind war ich, einer Vergewaltigung knapp entronnen. Wen interessierte es? Einem Ersticken, einem Sturz vom Dach bin ich nur so gerade entgangen. Wen erschreckte es? Meine Eltern? Immer im Streit, immer mit sich selbst beschäftigt.«
    Heute heißt es: »Mein Vater, ein Generaldirektor, ein stattlicher Mann mit Weste und Zigarre, diskreter Lavendelduft, ein Herr durch und durch.«
    Früher: »Unsere ewig bescheidenen Verhältnisse! Immer das Erwähnen der Preise, das Geldzählen, die Angst vor Ausgaben, das Brot ohne Wurst, die tränenreichen Träume von üppigen Schulbroten, und das in eiskalten Betten!«
    Stellte sich Fränzi nicht bisher als menschenscheues, wählerisches Mädchen dar?
    Jetzt erfährt Martha: »Wie toll ich es getrieben habe, Gott verzeih mir! Bei Kostümfesten ließ ich mich von einer Umarmung in die andere fallen. Ich sah gar nicht mehr hin, was das für Arme waren. Und gerade das war das Schönste!«
    Da sagt Martha, der vor Wut allmählich die Knie zu zittern anfangen: »Deine neuen Kleider spannen gewaltig, Fränzi, du kannst das nicht sehen, überm Arsch!«
Alpträume im Grand Hotel
    St. Moritz. Es sei zweifellos eine Gemeinheit, schreibt der Schriftsteller Egon Pratz an seinen Verleger, daß er in dieser hinreißenden Umgebung so widerlich träume. Jede Nacht sei er umringt von enttäuschten, verbitterten Künstlern, denen die Welt die Resonanz verweigere, Verweigerung seitens Stadt, Staat und Gesellschaft, Jahrhundert und Menschheit. Träume er aber nicht dies, dann todsicher das: Übermächtig werde plötzlich die Frage gestellt, wer von der zukünftigen Generation die großen Kunstwerke, die Bücher, Bilder, Kompositionen in sich aufnehmen solle. Was aus ihnen werde, wenn sie nur da seien, aber vergessen würden. Ihn, Pratz, packe eine fürchterliche Angst, alles werde untergehen, er sehe die Meisterwerke schweigend in tiefer Trauer und frierend im Dunkeln vergeblich ihre Erlösung durch ein Herz und Gehirn erhoffen. Erst gestern habe er mit einem jungen Kulturwissenschaftler (»Strukturalität der Struktur«, »Abwesenheit eines transzendentalen Signifikats«, »Codes und Narrative«, dieser Typ) gesprochen, der den Namen Heißenbüttel, der doch jahrzehntelang der Papst des Avantgardismus praktisch in allen künstlerischen Gattungen gewesen sei, noch nie gehört habe. Ob er, Pratz, etwa jetzt in das Alter komme, wo diese Erfahrung sein täglich Brot

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