Gewäsch und Gewimmel - Roman
Umsatzmilliardäre«, und: »Die Deutsche Bank ist herabgestuft worden, weil sie zu abhängig vom Investment Banking ist.«
Flüchtendes Rudel
Tristanweg. Frau Wäns erzählt Elsa, die gelegentlich zu ihr zum Wandern ins Naturschutzgebiet kommt, was Alfred Brehm über die ungeheure Sprungkraft des flüchtenden Rudels der Arabischen Gazelle schreibt: »… selbst wenn die Gefahr ihm nahekommt, scheint es noch mit seiner Befähigung zu spielen.« Sie weiß es vom Kiebitz-verliebten Nachbarn Holterhoff. Das sei ein ganz und gar abgründiger Satz, habe der wunderliche, aber sehr redliche Mann gemeint, Biologie! Philosophie! Poesie! So zu ihr der stets von Kopf bis Fuß grasgrün gekleidete Herr.
Sehr jung
Der kleinen Ilse, die ein schüchternes, nur beim Theaterspielen merkwürdig grausames Kind ist, tut kein Mensch was. Sie ist einfach zu dünn.
Sie hat aber durch ein Schlüsselloch gekuckt, was streng verboten ist. Es war hinter der Tür so still gewesen. Und was entdeckt sie da? Ihre Mutter, die am Tisch neben dem Besuch sitzt. Es ist ein Mann, den Ilse für einen Priester hält, wegen des schwarzen Anzugs. Er küßt das Gesicht der Mutter, ihre Augenlider, alles, nur nicht den Mund, und beide sehen dabei tieftraurig aus. Die kleine Ilse spürt, wie plötzlich die Temperatur umschlägt. Sie fängt an, fürchterlich zu schwitzen, und steckt sich die Faust in den Mund, um nicht zu schreien. Ohne Mantel rennt sie in die dunkle Kälte nach draußen, dort heult sie los, wie ein Wolf, heult um den Vater, viel mehr noch um sich selbst. Als sie wiederkommt, hat niemand ihr Fehlen bemerkt. Der Mann und die Mutter verlassen mit ihren betrübten Gesichtern gerade das Zimmer. Man will sie streicheln, sie wendet sich ab.
Nur die Mutter sieht sie eine Sekunde erschrocken an. Ilse, so klein sie ist, wird den Schmerz für alle Zeit beschämt in sich verschließen. Denn hat nicht sie, Ilse, das Bild erst hervorgebracht durch ihren verbotenen Blick?
In der darauffolgenden Nacht allerdings, als die Eltern noch zusammen im Wohnzimmer sitzen, hören sie ein Geräusch im Flur. Es ist die Kleine. Sie versucht, die Haustür zu öffnen, im Nachthemd, aber mit den Straßenschuhen an den Füßen und deraufgerollten Zudecke unterm Arm. Ilse spricht in unverständlichem Dialekt, will unbedingt fort und erkennt Vater und Mutter nicht. Durch sanftes Zureden lenkt man sie zurück ins Bett.
Die Mutter fängt an zu weinen, und doch ist sie noch viel bestürzter, als sie sich anmerken läßt, sagt aber zu ihrem Mann, Ilse habe schließlich schon einmal als Zweijährige um zwei Uhr nachts das Haus verlassen, noch dazu im strömenden Regen, und nach 300 Metern irgendwo bei Fremden geschellt. Erst die Polizei habe die Adresse herausgekriegt, Ilse selbst konnte damals nur ihren Vornamen sagen.
Auch dies hier sei also kein ungewöhnlicher Vorfall.
Der Sinn des Rostes
»Wie sich die Signale, die schönen Muster der Vögel und Fische ganz speziell füreinander entfaltet haben«, sagt der Geistliche Clemens Dillburg zu Frau Fendel bei einem Hausbesuch, »so sieht, ebenfalls zu seiner Freude, Gott vielleicht die Kunstwerke, die Bilder, Schlösser, Romanwelten der Menschen an, vor allem ihre guten Taten und die unsichtbaren guten Gedanken. Die schlechten Taten sind dagegen der Rost, die Verwitterung. Vielleicht aber«, fügt er leise, beinahe nur für sich, hinzu, Frau Fendel hört jedoch noch sehr genau, »sind auch die Korrosionserscheinungen, die Schatten, Ruinen und Kriege für ihn Formen, Gestalten, die wir bloß nicht als das erkennen können, weil wir sie nicht als Läuterungen, als Prüfungen auf dem Weg zum Unbegreiflichen auffassen. Tiefe Verzweiflung, Schrecken und Qual, um uns an den Abgrund zu führen, aus dem sich Gott erhebt, damit wir nackt aus der völligen Armut der Seele in ihn stürzen?«
Herr Dillburg, der einsame Mann bei der einsamen Frau, fährt sich wie aufwachend übers Haar und murmelt: »Verzeihung, liebe Frau Fendel, bitte, entschuldigen Sie!«
Scharfes Auge
Den Jockey a. D. Hermi Meier, Freund des Kiebitzfreundes Holterhoff, den kennen alle in seinem Quartier als einen, der jeden Vormittag mit Schirmmütze draußen am Stehtisch im Rollstuhl sitzt. Er verfügt nach wie vor über ein scharfes Auge. Der kleine Hutladen, den er im Visier hat, ist ihm vertraut als Lieferant der exklusiven Modelle, die von Damen der Gesellschaft bei Derbys getragen werden. Das sowieso, versteht sich. Aber er weiß auch, wer ins Reformhaus, in
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