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Gewäsch und Gewimmel - Roman

Gewäsch und Gewimmel - Roman

Titel: Gewäsch und Gewimmel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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Stimme von Knochendöppel, Herrn Knochendöppel, beim Singen hört, überfällt ihn viel zu oft schiere Mordlust. Oder ist es doch eher wieder Rührung, wenn Frau Klapproth, die Zahnarzthelferin, jetzt fünfzig, sobald die Chefin rausgeht, ihm, der den Mund voller Instrumente hat, da sie seinen Beruf kennt, zornig beichtet: »Ich will nicht nachdenken, ich will leben, leben, leben!« Nicht anders bei Frau Rohde, im Alter von Frau Fendel, ebenfalls Witwe, die glaubt, alle, ausnahmslos alle Menschen, die ihr hilfreich beispringen, täten es aus Berechnung. Sie aber spreche sich immer laut vor, ein paarmal am Tag: »Liebe deine Feinde!« Darum lächle sie dauernd alle an, und keiner bemerke, daß sie ihn bis auf den Grund seiner Bosheit durchschaue.
    Auch Dillburg lächelt, lächelt in sich hinein. Frau Fendel erschnuppert an ihm ihre fromm glühende Kindheit. Viele Leute suchen in der Kirche ihre vergangenen Kindertage und möchten sich – ohne es anders als für Momente je zu sein –, durch die anderen Besucher bestärkt, als Gläubige fühlen. Andere kommen aus Entsetzen, nachdem sie einige aufschlußreiche Blicke in sich plötzlich auftuende Lebensspalten getan haben.
    Einmal hat sie ihm auch gestanden, erst der Glockenklang würde an einem Frühlingsmorgen den Vogelstimmen das Schwermütige nehmen. Mit der Kraft des Geläutes könnten sie viel höher aufsteigen und müßten das Himmelgewölbe nicht suchend abtasten, sondern schössen durch die Decke hindurch. Es seien aber vor allem die Fronleichnamsprozessionen gewesen, die für sie, und das für immer, Gott und Natur zusammengeschmiedet hätten, eins könne nicht ohne das andere sein. Allerdings, bei ungünstigem Wind, höre sich das sonst so gewaltige Läuten wie ein Jammern, sogar Wimmern an.
    »Gott! Dein Himmel faßt mich an den Haaren / Deine Erde reißt mich in die Hölle …« Ist die Brentano-Zeile nicht in der Jugend sein geheimer Wahlspruch gewesen? Damals, wenn er die Gewaltseiner Gefühle nicht meistern konnte, lernte er zur Rettung meist ein Gedicht auswendig. Später hat Dillburg einmal von demselben Dichter gelesen: »die Näscher an Gott«, oder hieß es: »das Naschen an Gott«? Eins scheint ihm seit langem klar: Kunst rettet die Religion vor Sektierertum und die Frömmigkeit vor Bigotterie.
    Als Frau Fendel ihm die Tür öffnet, ist ihr Gesicht tränenüberströmt. So hat er sie noch nie gesehen. »Daß sie gerade heute zu mir alten Frau gekommen sind, noch dazu an diesem schönen Abend!« Die Knöchelchen ihrer Schultern zucken. Herr Dillburg tut, als würde er die Nässe auf ihren Wangen nicht bemerken. Sie soll sich auf keinen Fall bei ihm entschuldigen für ihren Kummer, den er nicht kennt. Als er ihr am Tisch gegenübersitzt, stammelt sie: »Weil doch mein Sohn gestorben ist.« Dillburg erschrickt ganz ungeistlich. Ist nun auch der andere Zwilling tot, der Sohn, der ohne Familie in München lebt? Trifft so viel Unglück die arme Frau? Ihn befällt eine schroffe Traurigkeit. Woher soll er jetzt noch Wort und Rat nehmen?
    Er senkt den Kopf und fragt schließlich hilflos: »Wie ist es passiert?« »Herr Dillburg! Das wissen Sie doch!« ruft Frau Fendel vorwurfsvoll. »Der Unfall damals, der furchtbare Autounfall.« Sie starrt ihn an in sanfter Empörung über seine Vergeßlichkeit.
    Dillburg darf ein bißchen aufatmen. Ihn überkommt eine kleine Heiterkeit, weil er so erleichtert ist. Am Ende dieses langen Seelsorgetages hätte er ja keinen Trost mehr gewußt. »Aber, Frau Fendel«, sagt er nun, »Sie …« Die Frau beginnt über sich selbst zu staunen: »Ich weiß wohl, es ist lange her, aber eben, gerade eben, vor einer halben Stunde vielleicht, da übermannte es mich ganz schlagartig ohne Anmeldung, wie gerade erst geschehen, wie es mir so vor Augen trat, besonders die zerrissene Jacke auf meinem Schoß. Es war auch, als hätte ich mehr wegen des Anblicks der blutigen Jacke als um den Jungen geweint.« Sie lächelte verwundert: »Wie kann das passieren, nach all der Zeit!«
    Dillburg sieht sie freundlich nickend an, aber vor ihm steht ein anderes Bild, und dann wieder ein anderes, als sie fortfährt: »Bei der Beerdigung, Sie müssen es doch noch wissen, bin ich ohnmächtig geworden. Zum Glück fing mich mein zweiter Sohn kurz vor dem Hinfallen auf.« Dillburg sieht zwei sehr alte Darstellungen der ein bißchen abgewandelten Szenen vor sich und nimmt kaum wahr, was Frau Fendel weiter erzählt:
    »Er hat damals schrecklich unter dem Tod

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