Gewäsch und Gewimmel - Roman
Gleichzeitig hielt man in Pferchen Schweine parat, die sich an den noch lebenden und toten Überresten der Schlachtgelage mästeten. Die Ausrottung ging jetzt sehr schnell. Man hatte sie ja in Massen beisammen. Das letzte Exemplar starb im Zoo von Cincinnati in dem Jahr, in dem der Erste Weltkrieg begann.
Ihr Fluch war die hohe Individuenzahl. Sie kommt häufig vor bei überalterten Arten kurz vor dem Aussterben. Die Wandertaube hatte verlernt, sich in ein Versteck zurückzuziehen und dort allein oder in kleiner Gesellschaft zu brüten. Nur das wäre ihre Chance gewesen …
Ihr Orchideenfreund.
»Zu spät«, sagt Katja, »zu spät, zu spät!«
Am Abend des folgenden Tages beobachtet sie zufällig, wie ein Papier umständlich unter der Tür hergeschoben wird. Sieschleicht sich heran, und noch während des Vorgangs beginnt sie zu lesen:
Außerdem gibt es auf den Philippinen eine Dolchstichtaube! Blendend weiße Brust mit blutroter Federwunde darauf.
»Mörder«, schreit Katja durchs Schlüsselloch, »lassen Sie gefälligst Ihre Drohungen, Lüstling.«
Die gute Tochter
Berlin. Nun ist es vorbei mit den Sorgen, vorbei! Eva ist wohlbehalten zurück und sitzt ihren Eltern für ein Stündchen im Hauptbahnhof gegenüber. Sie hat drei Cappuccinos von der Theke geholt und sieht gut aus. Nur ein kleines Ekzem an der Schläfe fällt auf, wenn sie sich die Haare nach hinten streicht. Sie hat die Eltern lange und herzlich umarmt und ihnen von sich aus erklärt, daß sie zunächst nach der Ankunft ihre beruflichen Verhältnisse ins Reine bringen wollte. Seit heute besitzt sie wieder einen festen Stundenplan, nach dem sie, wenn auch durchaus nicht fürstlich bezahlt, Deutschunterricht für Ausländer erteilt. Das beruhigt alle drei.
Dann packt sie ihre Geschenke aus. Ein wie Ölschlieren schillerndes Tuch für die Mutter, eine bizarre Mütze für den Vater, zwei winzige Nackedeis aus Jade für beide. Wie haben die Eltern nur je an ihrer Zuneigung zweifeln können! Frau Wilkens ist, sie weiß nicht warum, zum Weinen zumute. Dabei schielt sie heimlich auf die Uhr. Es ist, ungefähr und unerbittlich, leider schon wieder 19.12 Uhr.
Lohnuntergrenze
Alex, der Kleinunternehmer, hält die Stellung. Erst recht, nachdem er weiß, daß sein bester Freund »für einen Hungerlohn« in knalliger Signalweste mit einer langen Zange zwischen dem Schotter an den Bahngeleisen Abfall in Plastiksäcke sammelt. Alex macht weiter, egal wie das Wetter ist und was die Kundenfür Gesichter schneiden. Alex beißt sich durch mit seinem ambulanten Zeitschriftenstand an den S- und U-Bahnen, wo kein anderer welche verkauft. Seinen Stundenlohn rechnet er sich erst gar nicht exakt aus. Wie auch? »Demnächst soll es für die Pflegeheimkräfte eine gesetzliche Lohnuntergrenze von 8,50 Euro geben. Das betrifft besonders die privaten Pflegeheime, die reguläre Stellen mit schlecht bezahlten Leiharbeitern besetzen«, erzählt er seiner Schwester.
Alex trifft auf taube Ohren. Die Schwester hört nicht zu.
Die Dumme hat jemanden kennengelernt. Das ist der Unterschied.
Rätsel
Wie heißt der schönste Berg der Welt?
Kleine Hilfe: Er ist nicht mal ein Sechstausender. Dazu fehlen ihm drei Meter. Und was hat die senkrecht herabscheinende Tropensonne mit seiner blendenden Einzigartigkeit zu tun?
Kleine Hilfe: Auch die Feuchtigkeit des Urwalds spielt eine Rolle.
Rätsel
Was aber »studiert« eigentlich die »Studentin« Katja in Berlin?
Unmut
Immenstadt. Der lange »erfolgsverwöhnte« Schriftsteller Pratz – was kann denn schließlich die Welt dazu, daß er nicht mehr jung ist! – läuft seit Tagen mit einem Unmutsgesicht herum, wie man es von den Schleiereulen kennt. Als er nun einen Brief an seinen Verleger schreibt, beginnt er schon bei dem Wort »Immenstadt«, noch bevor er das Datum schreibt, zu lachen. Er fragt sich nämlich plötzlich, ob man sich nach seinem Ableben irgendwann wohl die Mühe macht, hinter das Geheimnis seiner Beziehung zu diesem Städtchen zu kommen. Er lacht über die Literaturwissenschaft, aber auch über sich.
Was steht in dem Brief? Nur die Feststellung, daß er, Pratz, einigermaßen ohne Verlust an Wahrhaftigkeit die Kritiker in zwei Gruppen aufteilt. Es gibt, meint er, diejenigen, die schon in jungen Jahren, und dann immer frecher, andeuten, wie sehr sie eigentlich Bücher über Geologie, Astronomie, Film- und Zeitgeschichte usw. der im Grunde viel zu weitschweifigen, ja zumindest heutzutage überflüssigen Belletristik
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