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Gewäsch und Gewimmel - Roman

Gewäsch und Gewimmel - Roman

Titel: Gewäsch und Gewimmel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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äußerster Anstrengung aufrechterhalten. Ihre ganze Kraft ging da drauf. Sie waren bis auf das hochverschuldete Haus praktisch mittellos. Beide sind, sagt man, den ›Tröstungen des Alkohols‹ verfallen, aber nur innerhalb der tadellosen Hausmauern. Der Junge hat sich vor einigen Tagen das Leben genommen.«
    Katja schwankt, ob sie sich für den nicht als Mythos identifizierten Enzian rächen soll, indem sie sagt: Keine Ahnung, wovon du sprichst. Ich erinnere mich nicht an das Haus, auch nicht an das Reden davon.
    Eine verlockende Gelegenheit. Dann betrachtet sie das schmerzlich verfrühte Bückelchen und beißt sich lieber auf die Lippen, bis auf ein »Ach«, das in den Ohren der Mutter nach Mitgefühl klingt.
    In Berlin begegnet sie gleich bei ihrer Rückkehr an der Haustür dem Rentner, der im Parterre wohnt. »He, alter Herr, was reißen Sie denn die Augen auf? Ist mein Rock zu kurz?« erkundigt sie sich. »Nein, nein, mein Fräulein, entschuldigen Sie«, antwortet er freundlich, »aber genauso, wie ihr Jungen uns Alte anstaunt, staunen wir Alten unwillkürlich euch Junge an. Jeweils wie Vögel aus fernen Gegenden.«
    Am nächsten Tag wartet eine große Überraschung auf sie. Als sie diesmal auf der Treppe den Studenten trifft, ist er endlich zur Einsicht gekommen. Er versperrt ihr den Weg, er lächelt ihr in die Augen, läßt die überwältigenden Raubtierzähne sehen, sagtnichts, bleibt einfach stehen und breitet nur die Arme aus, was bedeuten soll: Ich gebe mich geschlagen. An meine Brust!
    Katja kann ihr Glück nicht fassen.
    Nur ist es gar kein Glück. Es ist ihr plötzlich gleichgültig, eigentlich ja schon länger, aber jetzt, wo sich die Beute von selbst anbietet, ekelt die unverhoffte Nachgiebigkeit sie an. »Platz da!« sagt sie barsch und muß sich gar keine Mühe geben, »Sturmfreie Bude? Nutzen Sie die Gelegenheit, Ehebrecher! Nur nicht mit mir. Meine Empfehlung an die Frau Gattin!«
    Ihrem juristischen Freund will sie berichten, der Beischlaf habe sich ganz schnell, gewissermaßen pflichtgemäß, zwischen Tür und Angel ergeben, sei vollstreckt und damit basta. Oder auch, er sei ihr aus Liebe zu ihm nicht möglich gewesen. Der Freund würde im einen wie im anderen Fall vermutlich lachen.
    Und sie, Katja, hat jetzt unwiderruflich von beiden genug. Von dem ehrgeizigen Anwalt sind ihr wegen dessen Hautglätte Hände und Gefühle abgerutscht. Dabei haben sie früher einmal zusammen artistische Kunststücke geprobt, bei denen sie sich, ohne Bedenken durch die Luft wirbelnd, in seine Arme fallen ließ. Später, als er sie meist während des Joggens anrief, um Zeit zu sparen, hat sie oft die Augen zugemacht und sich vorgestellt, sein Keuchen würde nicht vom Laufen, sondern von einer schönen Stunde im Bett mit ihr herrühren.
    Der Orchideenfanatiker konnte ihr Schweifen, ihre Wünsche nach einer feurigen Affäre zwar kurzfristig, wenn auch unwillentlich, auf seine Person lenken (das war schon viel, sagt sich Katja resigniert), aus der Nähe blieb dann jedoch nur ein gebieterisch zurückweisender Geruch übrig.
    Ihre Mutter aber, die sich so sehr über Katjas Auftauchen gefreut hatte, erkennt nach der Abreise ihrer ständig erbosten Tochter: Es ist der Blick des Mädchens, der mich alt, uralt macht. Auch habe ich deutlich gespürt, wie sie sich mein Schicksal, meine Zukunft ausmalt, wenn sie mich beobachtet.
    Dann beginnt die tatsächlich schon ein wenig gekrümmte Frau, den Inhalt ihres gelben Wertstoffsacks durchzusehen, all die Dinge, die sie in der ganzen Woche angefaßt, geleert und schließlich (sie dachte: auf Nimmerwiedersehen) weggeworfen hat, noch einmal zu prüfen. Vielleicht versteckt sich ihre Brille ja zwischen Katzenfutterdosen, Milchbehältern und den vielen, vielen Erdnußdosen?
    Und was findet Katja einen Tag später, beim gestrigen Türöffnen am Morgen von ihr versehentlich in den Winkel gedrückt und also übersehen? Ein Briefchen des Studenten!
    Liebe Frau Nachbarin,
    hier ein kleiner Nachtrag zur Wandertaube, ausgestorben wie die Blaue Taube von Mauritius. Noch 1819 schätzte der sehr angesehene Ornithologe Alexander Wilson einen vorbeifliegenden Schwarm auf zwei Milliarden. Ihr letztes riesiges Brutgebiet befand sich in Wisconsin und umfaßte über 120 Millionen Tiere. Das war 1878 . Man konnte sie bequem an ihren Brut- und Schlafplätzen mit Stöcken erschlagen oder abschießen und gleich in Waggons, denn das Fleisch aller Tauben schmeckt gut, zu den Märkten transportieren.

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