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Gewäsch und Gewimmel - Roman

Gewäsch und Gewimmel - Roman

Titel: Gewäsch und Gewimmel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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erst gar nicht weiter ernstnehmen. Es wird etwas Vorübergehendes, eine neue Entwicklungsphase der Kleinen sein, die man erträgt, die man, so gut es geht, übersieht und bei der man sie am besten nicht stört, schon gar nicht durch dummes Nachfragen. Man weiß ja inzwischen, wie kratzig das Mädchen werden kann.
    Dabei ist ihr selbst ein Rätsel, was sie seit einiger Zeit wahrnimmt. Vielleicht war dieses Wahrnehmen auch bereits viel früher der Fall, aber erst jetzt beginnt sie sich zu wundern, weil sie eine Kluft spürt und deshalb vergleichen kann. Es ist, als würden hinter dem Vater, der Mutter, auch hinter dem Hund aus der Nachbarschaft, mit dem sie befreundet ist, dunkle Riesengestalten stehen.
    Hat sie mit denen womöglich schon immer zu tun gehabt und bloß die kleinen Figuren davor mit ihnen verwechselt? Und ein einziger Satz, ein paar dösige Wörter: wie die hallen und dröhnen in ihr! Da muß sie achtgeben, daß sie nicht mit gleicher Lautstärke zurückbrüllt. Die anderen haben ja schließlich den Höllenlärm nicht gehört.
    Nicht anders ist es, wenn sich manche der erwachsenen Männer ahnungslos lächelnd hinabbeugen zu Ilse, dem Kind.
Preise
    Der preisverwöhnte Schriftsteller Pratz kennt das Gemauschel, das Blendwerk und die Zuschiebereien um geldbestückte Auszeichnungen in- und auswendig. Er weiß auch, daß sich ausgerechnet die Kollegen und Kolleginnen, die am überschwenglichsten kassiert haben, unverdrossen als von Schicksal, Gesellschaft und Staat Gebeutelte hinstellen. Ihn amüsiert das Tremolo preisgekrönten Jammers, aber auch er selbst greift, wenn ihm, wie heute, was geboten wird, stets gerne zu.
    »Ablehnung«, spricht er, unterwegs zu einer neuen Freundin (»Seine Geliebten werden von Mal zu Mal jünger und immer schneller gewechselt«, behauptet, erfreut übers Klischee, eine von mehreren Buchhändlerinnen), seinem Verleger aufs Handy, »und sei es aus bestem Motiv, wird zuverlässig als Beleidigung der Jury und des Geldgebers verbucht. Also versuche ich das erst gar nicht, lasse den Preis fein mit meinem Namen für sich werben und – bereichere mich. Geschäft auf beiden Seiten. So läuft der Laden nun mal. Außerdem: Was schluckt man nicht alles! Unter anderem die Unfähigkeit der Kritiker wie des Publikums, zwei Dinge parallel zu denken. Die intellektuelle Wahrhaftigkeit des Relativierens verwechseln sie mit Kälte und Leichtfertigkeit. Das schmerzt auf Dauer. Ich nehme also die Entschädigung, diesmal den Matthias-Oreis-Preis, wie gewohnt schamlos, an.«
Maienlust
    Auch wenn uns Schuberts »Lied im Grünen«, vom Sopran »wie geschmolzenes Silber« gesungen und fünfmal hintereinander angehört, akustisch zu Wandern, Picknick, Freundes- und Waldeslust verführen will: Die optische Lust des aufspringenden Grüns, so hell in tausendfacher Gestalt, sie lockt uns nicht in die taktil noch eisige Kälte hinaus.
Die ewige Leier
    Erwin, der grundsympathische Westfale, schüttelt erschrocken den Kopf über sich. Beinahe hätte er mit dem Kalenderblatt vom 8. Mai schon das vom 9. abgerissen! Seine Frau, auf dem Sprung zur Arbeit im Kiosk, zieht den ihren vorsorglich ein, denn ihr schwant, was folgt: »Nun also unser Finanzsenator, Weggenosse des Oberbürgermeisters! Sieh an, sieh an! Razzia in seiner Privatwohnung wegen illegaler Parteienfinanzierung!« Bevor er aber richtig loslegen kann, steht Anita schon im Mantel bereit für den Abschied.
    Da schreit er noch schnell durchs Treppenhaus, damit auch das einmal in die Welt gestemmt ist: »Und daß jahrelang mit Billigung der Regierung die Immobilienspekulanten dieses unselige Land da unten in Flammen gesetzt haben, das hat keinen ernstlich stutzig gemacht. Da spielte man offiziell wider besseres Wissen ›Naturkatastrophe‹. Korrupte Bande, hier wie dort. Im Grunde läuft alles auf die Frage hinaus: Wann bricht die Zivilisation global zusammen, und jeder fällt über jeden her? In Jahrzehnten? Viel früher? Sie komme nur, die Katastrophe schneie nur herein! Bitte sehr, hereinspaziert! Her mit der Apokalypse! Hallo und willkommen! Für einen Neubeginn ist das Zeitalter der Barbarei unerläßlich. Ich sage nur: Borkenau!«
    »Komm am Mittag vorbei«, ruft Anita gehetzt. Schon fällt, in Erwins Ohren ein eherner Laut, die schwere (»gesetzesschwere« denkt Erwin verlassen) Haustür ins Schloß. »Bitte, laß mich nicht im Stich, Anita. Eigentlich zeige ich nämlich«, flüstert er vor sich hin, »das typische Erscheinungsbild des

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