Gewäsch und Gewimmel - Roman
jahrelangen Serienmörders oder auch plötzlichen Amokläufers: zurückhaltend, zuvorkommend, hilfsbereit.«
Elsas Fehltritt
Da steht sie, geduscht, blitzblank, schneeweiß! Sie kontrolliert den Strauß rosiger Levkojen und ordnet die sauber geschichtetenZeitschriften zu zwei noch exakteren Stapeln. Elsa ist keineswegs penibel, das sieht man am feurigen Haarschweif, aber morgens, bevor die Verkrampften, Krummen, Hinkenden kommen, muß ihr aufgeräumt ums Herz sein. Sie benötigt dafür den kleinen – den größeren besorgt eine tüchtige Frau Elli, früher tat es die heikle Ulrike, die ihr Abitur nicht vergessen kann – Hausputz der Gegenstände.
Die Leute dürfen mit ihren Beschwerden nicht in sie einstürzen. Sie, Elsa, optimistisch aus reiner Notwehr, muß von Zuneigung bauschig gefüllt sein, nicht aus Nächstenliebe, sondern damit sie abprallen an ihrem stählernen Weiß.
»Herr Pratz«, hat sie allerdings früher einmal gesagt, ihrem stark klopfenden Herzen einen Stoß gebend, als er schnurrend unter ihren Händen lag, »ich sehe so viele Menschen hier. Kaum studiere ich ihr Gesicht, kommt mir eine Idee dazu. Dann folgt ein Satz, eine kleine, verräterische Bewegung: Schon reimt sich etwas zusammen. Ich …«
Der Schriftsteller Pratz ist elektrisiert hochgefahren von seiner Liege: »Elsa, Heilkräftige mit den kühlen Händen, wohltätiges Weib, wer hat Ihnen den Floh ins Ohr gesetzt? Unterstehen Sie sich! Ich befehle Ihnen: Nicht auch Sie, Sie doch nicht! Genügt denn der pure Hautkontakt, um alle, alle zu infizieren mit der elend nichtsnutzigen Schriftstellerei? Ach, ach, es tobt der Mensch unvernünftig in seinem Daseinskäfig wie das gefangene Insekt in der Osterluzei!«
Was überkam Elsa da mit Wollust und Macht? Das, was sie bei sich das »archaisch Weibliche« nennt. Sie meint den reflexhaften Drang, sich zu verflüssigen, um den so herrlich ganz auf sie gerichteten männlichen Trotz und Widerstand nachgiebig zu umfließen, die granitene Härte spielerisch zu umspülen, demütig zu beschmiegen mit den zerstörerischen Mitteln sanfter Erosion. Sie schweigt also wie beschämt, aber Pratz wird sich im Verlauf der Massage noch wundern!
Etwas wundert sie selbst. Ihren Freunden und den Patienten soll es, wenn es ihnen schlechtgeht, mit ihrer Hilfe unbedingt besser, ja gutgehen. Und doch, wenn sie allzu frech erblühen durch Wohlbefinden, wünscht Elsa, die beliebte Krankentherapeutin, ihnen ein winziges läuterndes Unglück an den Hals, und sei es eine kleine physische Qual von ihrer, Elsas – geduschter, blitzblanker, schneeweißer – Hand.
Echos
Ilse hat von ihrer Krankentherapeutin, zu der sie nun doch wieder nach einigem Sträuben gegangen ist, weil die so schöne Haare hat, einen Tip bekommen. Sie beginnt mit einem Tagebuch (Elsa weiß von einer Ärztin, daß diese ihre Patienten »Schmerztagebücher« führen läßt). Dabei passiert etwas, was Ilse in Atem hält. Sie schreibt doch nur die Kleinigkeiten auf, die sie gesehen hat, ein schwarzgeflecktes Hündchen mit einem Kragen um den Hals, einen Glassplitter, in den Hermi Meier, der alte Jockey, gefaßt hat, auch wie die Mutter Tränen lachte über einen Schlagerrefrain aus ihrem, Ilses, Mund und wie ihr beim Mittagessen gleichzeitig ein Kämmchen aus den hochgesteckten Locken fiel und ein Stückchen Schnitzel von der Zunge. Und gestern war Besuch da, ein grauhaariger krummer Tischgast, der die Muscheln nicht in den Mund kriegte und wohl deshalb zuerst sagte: »Es gibt kein Jenseits«, und kurz darauf: »Ich bin Atheist!«
Ilse schreibt das alles auf und spürt, kaum, daß die Notiz auf dem Papier steht, wie die Wörter horchen, fühlt, wie sie beginnen, ein gewaltiges Echo zu fordern, sie weiß nicht, von wem.
Hochfahrende Ansprüche
Die erwachsene, angeblich im Ruhrgebiet geborene Person Ruth, wohnhaft in Frankfurt a. M., befreundet mit Herta vom Leipziger Zoo, staunt, daß sie immer wieder vergißt, wie zerstreut die Außenwelt ist, wie gleichgültig die Umgebung, wie abgelenktund beschäftigt, getreu dem allgemeinen Existenzzustand. Sie aber, Ruth, geschwollen von Bedeutungsvermutung gegenüber allem, was mit ihr selbst zu tun hat, glaubt unbelehrbar, durch ihren Urteilsspruch über die Welt endgültig Gutes und Böses bewirkt zu haben. Und das nimmt noch zu!
Maienunlust
In der sonnenlosen Frostigkeit dieser Maientage haben sogar die Pflanzen aufgehört zu wachsen, auch zu welken. Den Vögeln ist die Freude am Singen vergangen. Die
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